Junger Genever

■ Ein Alt-Amsterdamer Treffpunkt als letzte Bastion einheimischer Alkoholika

Kann man aus dem Einschenken fingerhoher Gläschen eine kleine Schau machen, ein Kunststück? Jaros Janssens kann's. Er neigt zwei kompakte Pullen – von links blubbert ein bißchen Crème de banane, von rechts Curaçao bleu. Gelb-blau schimmert die märchenhafte Blüte in ihrem winzigen Kelch, haarscharf bis oben hin. Und wenn Jaros seine Kreation mit einem wahren Klaren krönt, raunt er nur: „Het grote finale...“

Klar ist am Ort des Amsterdamer Geschehens eins: junger Genever, die schwächere Spielart von Hollands legendärem Kornschnaps. Die stämmigen Regale und dicken Mauern tragen mattes Grün, gedämpftes Beige. Dickbauchige Gin-Flaschen sind der Schmuck dieser schlichten Traditionstaverne am Pijlsteeg. Kein Gedudel übertönt die alte Wanduhr, Sitzplätze sucht man hier vergebens. Seine harten Sachen offeriert der Wirt unter der Balkendecke der „Likeurstokerij Wijnand Focking Opgericht Anno 1679“. So steht's stolz verschnörkelt quer über dem Eingang und den kleinkarierten Butzenscheiben, auf halbem Weg zwischen Rathaus und Rotlichtgegend. Jaros, 43jähriger Sohn der Stadt, und sein Freund Jan bewahren eine der letzten Bastionen einheimischer Alkoholika.

Rund um die Kneipe des Wijnand Focking selig schwappen allerlei Modewellen. „Schlösser Alt“, „Euro-Pub“ ... nichts für Schnapstrinker Onkel Joop, der natürlich auch das „Grand Hotel Krasnapolsky“ verschmäht. Der Nobelherberge gehört das Stehlokal – sie hält es sich als volkstümliches Anhängsel. Bald wird die Schankstätte eingekeilt sein vom mondänen Krasnapolsky-Hauptbau und dessen glasbetonter Filiale, die bis März 1995 entstehen soll. Daß der Alt-Amsterdamer Treffpunkt trotz touristischer Noblesse bestehen bleibt – Kumpeltyp Jaros stößt lässig drauf an, zieht entspannt an seiner Sumatra.

Hollands Spirituosenmacher haben seit den 70er Jahren hart zu schlucken. Das einfache Volk entdeckte seinen Geschmack für belgische Biere. In feinen Kreisen machten Sherry, Campari und Tia Maria die Runde. Wer mag sich da noch zu einer Turnübung herablassen, die Nichtholländer so amüsiert? Weil sich ein randvolles Genever-Glas unmöglich heben läßt, ohne daß ein paar Millimeter überlaufen, plaziert der Kenner seine Hände links und rechts vom Gläschen, bückt sich waagerecht zum Tresen und schlürft behutsam den ersten Schluck. Dazu ein pilsje vom Faß – ganz Geschickte führen Bier und Schnaps in einer Hand zum Mund – und der kopstoot, ein strammer Kopfstoß, ist perfekt.

Würdevolle Kassenbrillenträger trifft man immer noch bei „Wijnand Focking“. Sanft schwankende Lkw-Fahrer drehen sich starken Tobak ins Papier. Studentenpärchen kommen aus Nostalgie. Und ein lüsternes Mißverständnis soll schon manchen Amerikaner über die Schwelle gelockt haben: Bei „Wijnand Focking“ erwarten sie wine and fucking. Künftig wird die Edel-Klientel zunehmen: Vor dem Theaterbesuch ein Apéritif nach Art des Landes, dazu ein Gang durch die Kleinbrennerei, die Jaros und Jan gleich nebenan errichten. Die Situation von 1679 soll fast in Reinform wiederauferstehen – mit Hochprozentigem aus krummem Obst und direktem Zugang zum prächtigen Krasnapolsky-Garten. Franz Schiffer

Schluckadresse: Wijnand Focking,

Pijlsteeg 31, Tel.: 020-6225334

(sonntags geschlossen)