Verkehrsrowdys kennen kein Ozon

■ Tempolimit in Sachsen-Anhalt aufgehoben / Verkehrsminister Wissmann (CDU) will ausländische LKW-Fahrer abstrafen

Berlin (taz) – Freie Fahrt für freie Bürger, heißt es wieder überall in Deutschland. Gestern hob auch die Landesregierung in Sachsen-Anhalt das Tempolimit auf, obwohl sie noch am Vortag eine zweiwöchige Fahrbeschränkung angekündigt hatte. Wölkchen und Wind ließen die Ozonkonzentration gestern deutlich sinken. „Wenn die Werte steigen, wird das Tempolimit wieder in Kraft gesetzt“, kündigte die Pressesprecherin des Umweltministeriums Lydia Hüsken an. Die Resonanz sei schließlich sehr gut gewesen, Protestanrufe habe es nicht gegeben.

Im Gegensatz zu den anderen Landesregierungen hat die neue Ministerriege in Magdeburg einen Artikel in der Straßenverkehrsordnung entdeckt, der die Maßnahme rechtfertigt: Die Geschwindigkeitsbegrenzung diene der Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit. Für die andere große Autobahn im rot-grünen Neuland, die A9, traute sie sich allerdings nicht, eine Tempobeschränkung zu verhängen. „Irgendwelche juristischen Gründe“ sprächen dagegen, kommentierte Hüsken lapidar. Außerdem gab es praktische Hindernisse: Anders als auf den 70 Kilometern der A2 zwischen Burg und Marienborn gibt es dort keine elektrischen Verkehrszeichen.

„Die Autofahrer haben einen Herdentrieb. Deshalb brauchen wir Symbole wie die A2“, meint die Sprecherin. Sie selbst habe am Wochenende die Grenze nach Niedersachsen überquert – und kaum seien die Tempozeichen zu Ende gewesen, da hätten alle schon aufs Gas getreten. Auch Veit Steinle, Sprecher im Bonner Verkehrsministerium, durchquerte mit 120 Stundenkilometern die Republik einschließlich Hessen, dem bislang einzigen Bundesland mit Ozonverordnung. „Ich sehe den Sinn nicht ein. Darum bin ich schneller gefahren“, rechtfertigt er seinen Fahrstil. Während alle Welt vom Ozon- Tempolimit spricht, schwadroniert sein Chef, Matthias Wissmann, über Fahrverbote für Ausländer. Es sei nicht einzusehen, daß Verkehrsrowdys mit fremden Nummernschildern nicht zentral gespeichert würden, während deutsche Fahrer in Flensburg Punkte bekämen. Ab nächsten Sommer ist Schluß damit: Bußgelder und Fahrverbote auch für ausländische Fahrer. Vom Ozon spricht Wissmann nicht. Wie sein Kollege vom Umweltressort verweist er nach Brüssel.

Unterdessen versucht der in seiner Fraktion sehr einsame umweltpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Michael Müller, die ganze Tempolimit- und Ozondebatte in einen größeren Zusammenhang zu stellen. Eine andere Verkehrspolitik muß her, lauten seine Kassandrarufe. Die Klima-Enquêtekommission habe schließlich festgestellt, daß die weltweit drei Milliarden Tonnen Ozon zu sieben Prozent zum Treibhauseffekt beitragen. Und wenn man die Kohlendioxide aus den Auspuffrohren noch hinzurechnet, dann ist der Verkehr zu mindestens 15 Prozent an der Erderwärmung beteiligt.

Sitzen wir schon im Treibhaus? Der Deutsche Wetterdienst rät, einen kühlen Kopf zu behalten: Kein Grund zur Beunruhigung. Jörn Ehlers vom Ökoinstitut aber weist darauf hin, daß sich die globalen Durchschnittstemperaturen in den letzten hundert Jahren um 0,5 bis 0,7 Grad erhöht haben. Und seit der systematischen Aufzeichnung von Temperaturen – was immerhin schon 140 Jahre lang geschieht – traten die acht heißesten Jahre nach 1980 auf. Annette Jensen