Debatte um Newton-Fotos

■ betr.: „Veräppelter Abel“ (kotte), „Grace Jones in Ketten“ (Sonja Schock), taz vom 27.7.94

Sehr geehrte Frau Schock! Selten habe ich einen so abgeschmackten und pseudoreflektierten Artikel gelesen. Ärgerlich. Wünsche Ihnen mit ihrer „Freiwilligkeit“ noch viel Vergnügen und daß sie sich auch weiterhin keine Gedanken um die Vernunft und die Funktion von Symbolen machen müssen ... Demütige Gesten bleiben, ob real oder symbolhaft, eben demütig – und das empfinde ich als Frau in der Tat erniedrigend, und es ist meines Erachtens auch bezeichnend, daß derartige Symbole mit Vorliebe von Männern – unter Zuhilfenahme einiger Alibifrauen (wie Sie es meiner Meinung nach sind) – verwendet werden. Caroline Jaenisch, Dipl.-Psych., Berlin

Peinlich, peinlich ... diese Menschen, die Bilder für bare Münze nehmen. Somit wäre auch ein schockfreies Gedankenspiel gestattet: Ersetzen wir die Sklavin doch einmal durch eine Schwarze, eine Ausländerin oder einen taz- Redakteur und den Verkäufer durch einen Skinhead oder einen Deutschen mit etwas mehr Bauch, und den Strick durch Feuerzeug oder Baseballschläger: Der kluge Kopf prüft daraufhin, ob Feuerzeug oder Baseballschläger dem Modell ernstlich zu nahe kommt und es in der „Bewegungsfreiheit ernstlich behindert“. Ist dies nicht der Fall, so handelt es sich bei diesem Bild (z.B. in einer Fascho- Mailbox) um eine spielerische Darstellung der realen Begebenheiten (und wer kann Masochismus bei Minderheiten ausschließen). Vielleicht trägt der Skinhead auch Damenhandschuhe (klarer Fall von verharmlosender Ironie).

Warum sich überhaupt aufregen, schließlich ist eine Fascho- Mailbox nur zum Vergnügen der Faschos da, das sollte man nicht symbolisch überbewerten, wer reinschaut, ist selber schuld. Wir haben ja unsere taz, denn BILDer machen bekanntlich blöd. [...] Ulrich Birtel, Köln

Nun hat sich die taz ein Eigentor geleistet, das, wäre sein Hintergrund nicht so peinlich, allein für sich spräche. Wir erleben die taz bei „der Entlarvung der Lüge in der Fotografie“. Ich meine die Doppelseite 4-5 Höhler/Newton.

Sehen wir Seite 4, links. Mutter und Sohn Höhler, in eindeutiger Fotopose beim Geldverdienen. Ja, und was lesen wir dazu. Der arme Abel, das sieht doch jedes Kind, wurde von seiner Mutter vor dem Fototermin vergewaltigt. Aber ganz sicher vor dem nächsten wird er es werden. Niemals würde er sich so fotografieren lassen. Leider kann er ja auch noch nicht sprechen, der Arme. Zum Beispiel nein sagen, zu einem Fototermin, an dem er nicht teilnehmen möchte. Mami steht mit der Knute dahinter. Mensch, das kannste doch klar auf dem Foto sehen. Na, Gott sei Dank hat er ihr dann noch den richtigen Einkaufstip gegeben. Mami hat da ganz schön ratlos im Computerladen gestanden.

Ja, und dann schwingt das Auge nach rechts auf die Seite 5. Da wundern sich Leser und verbliebene Innen wieder. Auch hier erfahren wir, daß wir das, was wir auf den Fotos sehen, gar nicht sehen. Alles nur Spaß, ha, ha. Spielerisch, du Dummchen. Phantasie, hast du denn gar keine Phantasie? Also, laß es dir erklären: das Seil ist kein Seil, die Kette keine Kette, mein Gott, zum Lachen, eine KZ-Wächterin in Stöckeln gibt's doch gar nicht. Und der Typ, das sieht doch jeder, der kann doch der Frau gar nicht, so'n Schlaffi ... usw. Nebenbei druckt man die Fotos, genau wie Emma. Mit Newton beschäftigt man sich nicht, lieber mit Alice. Und da mann an dieser Stelle das Differenzieren vollkommen aufgegeben hat, packt man (endlich) die alten Ängste wieder aus, und Newton-Fotos werden zu reinen, reinen Blümchensex-Illustrationen stilisiert. Halt mal, aber das haben wir ja gerade Alice vorgeworfen, also Frauen sind ... Mami, wo ist denn hier der Ausgang! Sonja Schock hat vom großen Bruder gut gelernt...

Damit Ihr mich richtig versteht: Ich will Newtons Fotos nicht verbieten. Nur, wie Ihr sie für Eure Zwecke mißbraucht, ist eine Schande. Schreibtischtäter, auch bei der taz. Sabine Holm, München