Und keiner will's gewesen sein...

Im mittelfränkischen Burk, einer traditionellen CSU-Hochburg, wählten 14,8 Prozent die „Republikaner“. Zugeben will die Tat allerdings keiner. Und sollte es doch passiert sein, so nur aus Protest  ■ Aus Burk Bernd Siegler

„Ich kann mir das nicht erklären, das hätten s' mir nicht antun dürfen.“ Ernst Binder ist sechs Wochen nach der Europawahl immer noch irritiert. Er kann sich das alles „überhaupt nicht erklären“. Binder ist Bürgermeister der 1.250 Einwohner zählenden Gemeinde Burk im Landkreis Ansbach in Mittelfranken. Dort holten die rechtsextremen „Republikaner“ bei der Europawahl im Juni 14,8 Prozent der Stimmen. Während in ganz Bayern die Reps starke Einbußen erlitten – sie gingen landesweit von 14,6 Prozent auf 6,6 Prozent zurück –, legten sie in Burk zu. Waren es 1989 schon vierundsechzig Wähler, so sind es dieses Jahr noch einmal sieben mehr.

Seit 14 Jahren ist Binder Bürgermeister. Zuletzt ist der Besitzer einer kleinen Pinselfabrik vor vier Jahren mit 96,8 Prozent wiedergewählt worden. Ob er 1995 noch eine Amtsperiode dranhängt? „Wissen S', die Gesundheit.“ Der 64jährige hat's mit dem Magen. Nicht nur deshalb läßt er sich mit seinen Bürgern nicht mehr auf Diskussionen ein. „Das bringt nichts. Zuerst schimpfen die Leute, daß die Regierung immer nur die Kleinen belastet. Argumentier' ich dann, daß es doch nicht so schlimm ist, verweise auf den Sozialstaat, dann kommen die Leute damit, daß zu viele nur auf Staatskosten leben, während sie selbst hart arbeiten müssen.“ Die Leuten seien eben „unzufrieden mit der großen Politik“, vor Ort gebe es aber „keine Probleme“. „Die jetzt die Reps wählen, das sind alles Protestwähler“, ist der CSU-Mann überzeugt. Der Wunsch Vater des Gedankens?

Wenn Bürgermeister Binder durch seine Gemeinde geht, vorbei an den schmucken Fachwerkhäusern, den wenigen Geschäften, dem Geburtshaus des Architekten Bürklein, der in München das Maximilianeum entwarf, vorbei an dem Kirchweih-Baum und dem Löschteich der Feuerwehr, dann weiß er natürlich, daß gerade die Gegend um Burk in den sechziger Jahren überdurchschnittlich viele NPD-Wähler hatte und in den dreißiger Jahren fest in Händen der NSDAP war. Immer wieder kommt es vor, daß Binder bei seinem Rundgang Bürgern begegnet, die ihn mit schmunzelnder Miene ansprechen: „Gell, soviel Reps bei uns, wer hätte das gedacht.“ Das trifft ihn hart. Schließlich ist Burk seit Kriegsende eine CSU-Hochburg. 25 Mitglieder zählt der Ortsverein. Früher war auch die Junge Union stark. Nun jedoch ist der Schaukasten in der Ortsmitte leer. Der SPD-Ortsverein ist schon vor sechs Jahren eingegangen.

Neun Arbeiter beschäftigt Binder in seiner Pinselfabrik. Sie drehen die Stiele aus Holz und verbinden sie mit den Metallteilen. Die Borsten kommen dann aus der Nachbarfirma. Seit 33 Jahren arbeitet das Ehepaar Schmidt* bei Binder. In ein paar Jahren ist für sie Schluß, schließlich wollen sie noch etwas von ihrer Rente haben. „Die Republikaner, die haben nur die Jungen gewählt, unsere Generation macht das nicht. Die Jungen sehen eben keine Zukunft mehr.“ Für die Schmidts war das Wahlergebnis „richtig schockierend“. „Menschenskinder, was ist denn da los“, hätten sie sich gedacht, obwohl sie schon vorher in den Wirtshäusern immer wieder gehört haben: „Das nächste Mal wählen wir die Reps.“

Für die Schmidts unvorstellbar. Seit Jahr und Tag kommt für sie nur die CSU in Frage. Genau 50 Prozent wählten in Burk Mitte Juni christlich-sozial. In ganz Bayern konnte die CSU trotz einer Vielzahl von Affären gegenüber den letzten Europawahlen noch um 3,5 Prozent auf 48,9 Prozent zulegen. Skandale schreckten auch die Schmidts nicht ab. „Das machen doch die anderen auch. Glauben S', die SPD macht's einen Deut besser? Wen sollen wir den sonst wählen außer der CSU.“

So denkt auch die 75jährige Herta Kraus, die an der Avia- Tankstelle aushilft, wenn ihr Sohn unterwegs ist. „Ob's einem paßt oder nicht, man wählt halt CSU“, lautet ihre Devise. Inzwischen sei zwar die ganze Regierung „angeschwärzt“, aber auch sie glaubt nicht, daß „die anderen das besser machen“. Vom Rep-Ergebnis war sie „entsetzt“. Man hätte doch in Burk „keine Kahlkopferten wie im Fernsehen“. Sie wüßte nicht einmal, wen sie der Rep-Sympathie verdächtigen sollte. „Man meint gerade, die Bürger wären andere Leute.“ Herta Kraus hat auf jeden Fall noch keinen gefunden, der offen seine Stimmabgabe für die Reps zugegeben hat. Im örtlichen Edeka-Laden das gleiche Bild. Auch hier sind Besitzerin und Tochter vom Wahlergebnis „überrascht“. „In Burk geht's keinem so schlecht, daß er Protestwähler sein müßte“, betont die Tochter. Mit 250 Arbeitsplätzen direkt in der Gemeinde steht Burk in der Tat gut da. Der Rest pendelt ins nahe Umland, ein paar sogar bis nach Nürnberg und Stuttgart. Im ganzen Ort gibt es vielleicht 15 Arbeitslose. Die örtliche Pinselindustrie, so Ernst Binder, habe zwar mit Billigimporten aus Osteuropa zu kämpfen, aber existentiell gefährdet ist sie nicht. Der Fremdenverkehr sei zwar auf Null und es gebe nur mehr drei Haupterwerbslandwirte, aber die Umstrukturierung weg vom Bauerndorf sei „ohne Probleme“ verlaufen. „Wir können nicht klagen.“

Nur die Tochter der Ladenbesitzerin mutmaßt, wer hinter den vielen Rep-Stimmen stecken könnte: „Das sind die Asylanten. Die Burker waren das nicht.“

Die „Asylanten“ sind Thema Nummer 1 in Burk. Mit „Asylanten“ meinen die Burker die Übersiedler, die seit fünf Jahren in den Gebäuden einer ehemaligen Pinselfabrik untergebracht sind. Manche sagen auch „Schwarzrussen“ zu den 180 Einwanderern aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion und Rumänien. Keiner weiß mehr, woher dieser Begriff kommt.

Der vierzigjährige Oleg stammt aus Kasachstan. Seit genau einem Jahr ist er in Deutschland. In Burk lebt er mit seiner Frau und seinen drei Kindern in einem winzigen Zimmer. Er arbeitet in Dinkelsbühl und sucht derzeit eine größere Wohnung. Er ist in Burk zur Wahl gegangen – im Gegensatz zu anderen Aussiedlern, die ihre Papiere noch nicht beisammen hatten. Daß die Aussiedler Rep gewählt haben, glaubt er nicht, das könne er sich nicht vorstellen.

Mit geübten Händen formt Bäckermeister Beck aus dem Laugenteig eine Brezel nach der anderen. Ist das Blech voll, kommt das nächste dran und so fort. Kaum vorstellbar, daß in einer so kleinen Gemeinde wie Burk so viele Brezeln am Tag gegessen werden. Bäckermeister Beck ist endlich einer, den das Wahlergebnis nicht überrascht hat. „Das habe ich gewußt, man brauchte doch nur den Leuten zuhören.“

„Wir müssen jeden Pfennig hart erarbeiten, und die bekommen das Geld nachgeschmissen, sagen die Leute“, berichtet Bäckermeister Beck. Sein Gehilfe, der 28jährige Frank Müller, hält nicht hinter dem Berg, daß genau das seine Meinung ist. „Die kommen nach Deutschland, weil sie glauben, ihnen fliegen hier die Hähnchen in den Mund rein. Denen muß es schlechter gehen, damit nicht mehr so viele kommen. Die kaufen ein, fahren Autos, denen geht's zu gut.“ Da müsse man eben einfach „die Grenzen dichtmachen“. Damit die „etablierten Parteien aufwachen“, bräuchte man jetzt die Reps.

„Das hat mit Rechtsradikalismus nichts zu tun“, fährt Müller fort, während er den frischgebackenen Zwetschgenkuchen aus dem Backofen holt. „Daß man nicht mit Springerstiefeln durch die Straße rennt, mit Messern auf Asylanten losgeht und ,Ausländer raus‘ schreit, das ist doch klar, die gehören ebenso weggeräumt.“ Ebenso wie wer? Der 28jährige schweigt, legt dann aber nach einer kurzen Pause wieder los: „Das Problem Ausländer ist auf der Landkarte die Nummer 1. Sie brauchen nur zehn junge Leute im Wirtshaus – schon kommt das Thema ,Scheiß-Ausländer‘.“ Bäckermeister Beck hält Müllers Aussagen für repräsentativ: „So denken die alle, die jungen Leute.“

Was Bäckermeister Beck gewählt hat, verrät er nicht. Auf die CSU ist er aber gar nicht gut zu sprechen. „Unsere Politiker in Bayern sind kein Ruhmesblatt.“ Die CSU habe in Burk und anderswo nur so gut abgeschnitten, weil die Ortsvereine hervorragende Arbeit leisten würden. „Dem Stoiber seine geschwollenen Reden überzeugen doch niemanden.“

„Und die Skandale sind doch nach acht Tagen schon wieder vergessen“, betont der örtliche Förster. Der 47jährige gehört zur exklusiven Gruppe der 21 Grün- Wähler in Burk. Er ist sich sicher, daß bei den CSU-Wählern der Neid ein gewisse Rolle spielt. „Der Neid, daß man selbst nicht so kann, wie die können, und die Bewunderung, wie die das schaffen, so abzusahnen.“ Auch dem Förster hat sich im Ort noch kein Rep-Wähler zu erkennen gegeben. Er ist davon überzeugt, daß „die reifere Jugend, die Leute so um die 30“, die Reps gewählt haben.

Die Wirtin von der Gaststätte „Wienerlein“ müßte eigentlich ihre Pappenheimer kennen. Abends und am Wochenende ist die Gaststätte beliebter Treffpunkt der Jugend. Die überdimensionalen und preiswerten Wiener Schnitzel stehen bei den jungen Leuten höher im Kurs als die Musikbox. Denn dort haben die „Zillertaler Schürzenjäger“ mit Liedern wie „Dahoam is Dahoam“ oder „I mog di“ das Sagen. „Die Leute sagen, sie müßten jeden Pfennig umdrehen, die Asylanten kriegten aber das Geld einfach so.“ So war auch sie nicht überrascht vom Wahlergebnis. Aber eines ist ihr klar: „Das war nicht nur die Jugend.“

Ihr Mann war bis vor kurzem Mitglied der CSU, obwohl er sich doch nach eigenen Angaben „überhaupt nicht für Politik interessiert“. Das sei alles „Geschmarri“. Die Leute hätten vielleicht die Reps wegen den Aussiedlern gewählt, jeder müsse Steuern zahlen, und die bekommen das Geld. Außerdem lägen überall Flaschen herum, alle seien besoffen. Aber die Jugend? „Die reden doch nicht über Politik, die gehen meistens gar nicht wählen.“ Er jedenfalls habe für die Reps „nichts übrig“. Nur „wegen dem Geschäft“ habe er gestattet, daß sie in seiner Wirtschaft eine Versammlung abhalten.

Und der Pfarrer? Kennt der seine ,Schäfchen‘? Burk ist derzeit pfarrerlos. Der alte wurde pensioniert, der neue kommt erst im Herbst. In der Zwischenzeit weisen Bibelsprüche auf Plakaten, geklebt an Scheunen und Hauswänden, den „rechten Weg“. Geradezu symbolisch für alle, die ihre Stimmabgabe für die Reps nicht zugeben wollen, und für alle Überraschten hängt an einem Haus in der Ortsmitte ein Plakat mit einem Spruch aus Hiob: „Meinet Ihr, daß Ihr Gott täuschen werdet, wie man einen Menschen täuscht?“

*Name von der Redaktion geändert