Grace Jones in Ketten

Der urheberrechtliche Streit zwischen „Emma“ und dem Fotografen Newton tritt alte PorNo-Debatte erneut los / Bilden Fotos sündige Phantasie oder unmenschliche Grausamkeit ab?  ■ Von Sonja Schock

Am Anfang stand die Etikettierung: „Helmut Newton – sein Faschismus“ lautete die Schlagzeile, die im vergangenen November auf dem Titelblatt der Emma für eine Abrechnung mit dem Starfotografen warb. Diese Attacke könnte die Frauenzeitung jetzt in finanzielle Schwierigkeiten stürzen. Denn der Münchner Verlag Schirmer und Mosel, der die deutsche Newton- Ausgabe herausbringt, hat die Emma-Herausgeberin und Autorin Alice Schwarzer vor den Kadi gebracht.

Weniger der Artikel selbst erregte den Unmut von Schirmer und Mosel als die Tatsache, daß Schwarzer ohne Genehmigung und, so der Verlag, trotz einer entsprechenden Prozeßandrohung, 20 Newton-Fotos zwecks Illustration des Emma-Artikels abgedruckt hat. Nachdem der Prozeß im Mai eröffnet und dann gleich wieder vertagt wurde, soll heute in München das Urteil gesprochen werden. Für Schwarzer geht es um viel Geld: 40.000 Mark Entschädigung fordert Schirmer und Mosel, eine Summe, die Emma durchaus das Genick brechen könnte. Alice Schwarzer wird heute versuchen nachzuweisen, daß es sich bei ihrem Artikel um einen quasi-wissenschaftlichen Aufsatz handelt, dem die Fotos zur Veranschaulichung zur Seite gestellt wurden. Daß das Text-Foto-Verhältnis deutlich zugunsten der Fotos ausschlägt, dürfte ihre Argumentation jedoch erschweren.

Inhaltlich operiert Schwarzer in ihrem Artikel vor allem mit Schlagworten. Bereits der Titel: „Helmut Newton – sein Faschismus“ irritiert, versucht aus einer historischen Staats- und Herrschaftsform ein individuell anzueignendes Phänomen zu machen. Mit dem Titel korrespondiert ein ausgesprochen sorgloser und großzügiger Umgang mit Wörtern wie „rassistisch“, „sexistisch“, „faschistisch“, „faschistoid“ und „Herrenmensch“. Daß diese Begriffe weder definiert noch hinreichend voneinander abgegrenzt werden, unterstreicht den ersten Eindruck von mangelnder Historizität. Bemerkenswert auch die Unverfrorenheit, mit der Schwarzer Newtons Biographie – als Sohn eines jüdischen Vaters mußte der gebürtige Deutsche vor den Nationalsozialisten fliehen – gegen ihn kehrt: „Er selbst flüchtet sich rechtzeitig nach Australien. Doch das Herrenmenschentum nahm er mit, in ihm lebt es weiter.“

Stein des Anstoßes sind für Schwarzer eine Reihe von Fotos, in denen die Autorin das klassische menschenverachtende Täter-Opfer-Schema zu erkennen glaubt. Dazu gehört ein Foto von Grace Jones, die sich nackt, mit um die Fußgelenke geschlungenen Ketten und einer Peitsche um den Hals präsentiert, dazu gehören auch Bilder einiger blonder, BDM-frisurbekränzter Modelle in Breker-Positur. Ein anderes Foto, „Trader and Slave“, zeigt einen Mann mit Schlips und Kragen, der eine nackte Frau an einem Seil neben sich herführt.

Was Schwarzer offenbar entgeht, ist der explizit spielerische Charakter dieser Bilder. Die vermeintlichen Fesseln haben einen reinen Symbolwert. Sie sind lediglich angedeutet, locker um die Gelenke gelegt. Weder Grace Jones noch die namenlose „Sklavin“ werden durch sie ernsthaft in ihrer Bewegungsfreiheit gehindert. Außerdem arbeitet Newton mit Ironie: Die Nazischönheit trägt High- Heels, ein Accessoire, das nicht so recht ins nationalsozialistische Frauenbild paßt: Newtons „Sklavenhändler“ hat den Charme eines Buchhalters und dazu einen dermaßen dümmlichen Gesichtsausdruck, daß er eher den Eindruck erweckt, als wäre er versehentlich ins Bild geraten. Schwarzer jedoch nimmt all diese Bilder für bare Münze, als Ausdruck für die „Erniedrigung“ der Frauen.

Diese Sichtweise beruht auf einem alten Mißverständnis: Der Verwechslung von symbolischer und realer Ebene. Für Schwarzer gilt das simple Eins-zu-eins-Verhältnis von Wirklichkeit und Abbildung: Grace Jones in Ketten bedeutet Sklaverei, mit der nackten Blonden mit Reitpeitsche assoziiert sie prompt die KZ-Aufseherin. Newton macht keinen Hehl daraus, daß er seine Anregungen aus der Wirklichkeit bezieht. In einem Interview mit der Independent on Sunday sagte er über seine Fotos: „Das sind nicht mal meine Phantasien – die basieren alle auf dem wirklichen Leben.“ Dieser Rekurs auf die Wirklichkeit und das Verharren in bloßen Andeutungen macht gleichzeitig das irritierende Potential und die Faszination von Newtons Bildern aus. Dort wo die Fotos als Abbildung der Wirklichkeit gedacht werden, stoßen sie an die Schmerzgrenze; wo sie als Zeichen verstanden werden, lassen sie sich als Ausdruck der „sündigen Seiten“ (Newton) des sexuellen Begehrens lesen.

Newton arbeitet nicht eindeutig mit nationalsozialistischer Symbolik; einige seiner Bilder und Bilderpaare erwecken jedoch durchaus Assoziationen in diese Richtung. Daß NS-Symbole Eingang in die Ikonographie des Sadomasochismus gefunden haben, ist nicht weiter verwunderlich, war die Naziherrschaft doch die fast perfekte Materialisierung des Prinzips absoluter Herrschaft und Unterwerfung.

Sowohl in den Folterstätten der Nationalsozialisten als auch in den Inszenierungen geht es um die Lust an der Macht, die Lust, die Grenzen des anderen zu überschreiten. In beiden Situationen wird, wie Simone de Beauvoir es in bezug auf de Sade beschreibt, die eigene „Freiheit für die anderen zum Schicksal“. Der wesentliche Unterschied liegt im Verhältnis zwischen den Parteien. In den Konzentrationslagern und auch in den fiktiven Folterschlössern des Marquis ist die Macht grenzenlos. Den Sadisten stehen hier keine Subjekte mit eigenem Willen, sondern wehrlose Opfer gegenüber, die nach Belieben gequält und ermordet werden können.

Beim Sadomasochismus dagegen beruht das Verhältnis auf Freiwilligkeit und demokratischen Regeln. Das gilt auch für Newtons Foto-Inszenierungen. Dazu Newton selbst: „Mich verunsichert es, wenn ich mit einer arbeite, die verunsichert ist. Ich sage immer zu den Mädels: Wenn ihr auch nur den leisesten Zweifel habt, tut es nicht.“

Obwohl vor allem praktizierende Sadomasochistinnen in den letzten Jahren nicht müde wurden, den freiwilligen Charakter dieser Unterwerfungsrituale zu betonen, wird von den PorNo-Verfechterinnen nach wie vor die Möglichkeit, daß Frauen an derartigen Praktiken Spaß finden, geleugnet. Die Lust an der eigenen Unterwerfung oder am Unterwerfen, am Schlagen oder Geschlagenwerden, Fesseln oder Sich-fesseln-Lassen wird a priori vom Kanon der weiblichen Sexualität ausgeschlossen.

Im Emma-Weltbild gibt es für Frauen nur zwei Optionen: Blümchensex oder Opferdasein. Nicht nur den Männern, sondern auch den Frauen wird das Recht abgesprochen, in Bildern, Texten oder Inszenierungen die „dunklen Seiten“ der eigenen Sexualität auszuagieren.

Im Münchner Prozeß wird dieser Konflikt nicht im Mittelpunkt stehen. Helmut Newton selbst lehnt es ab, sich öffentlich mit Alice Schwarzer auseinanderzusetzen. Sein Verlag verfolgt nur ein Interesse: Honorare für die abgedruckten Fotos per Gerichtsbeschluß einzutreiben.