Daß nicht sein kann, was nicht sein darf

■ Ustica, Ustica und (k)ein Ende: Ursache des Flugzeugabsturzes war keine Nato-Rakete, sondern eine Bombe auf dem Klo, meint das in Italien vorgelegte offizielle Schlußgutachten

Rom (taz) – Seltsame Blüten treiben aus Expertenhirnen, und nur schwer fällt es, keine Satire zu schreiben: Vierzehn Jahre, nachdem eine DC-9-Linienmaschine der italienischen Fluggesellschaft „Itavia“ nahe der Mittelmeerinsel Ustica vom Abendhimmel fiel und alle 81 Passagiere umkamen und nach zahlreichen Vernebelungsversuchen (mehr als ein Dutzend mögliche Mitwisser sind inzwischen auf merkwürdige Weise ums Leben gekommen) hat eine Sachverständigen-Kommission aus sechs Ausländern und fünf Italienern nach vierjähriger Arbeit ihren Schlußbericht vorgelegt – und wieder einmal alles umgedreht.

Nun soll eine Bombe das Desaster ausgelöst haben, angebracht im Serviettenbehälter der Flugzeugtoilette. Dabei waren sich seit einigen Jahren alle anderen Fachleute einig, daß ein Raketentreffer den Flieger zum Absturz gebracht hatte, höchstwahrscheinlich ausgelöst während einer gleichzeitig durchgeführten Nato-Militärübung – die ihrerseits Tarnung für den Flankenschutz eines gerade durchgeführten Putschversuches gegen Libyens Staatschef Gaddafi war.

Das Gutachten, das der federführende und hochangesehene Untersuchungsrichter Rosario Priore nach Mitarbeiteraussagen „mit großen Magenschmerzen“ entgegengenommen und das heftige Proteste seitens der Angehörigen der Opfer ausgelöst hat, scheint ungetrübt von jeglicher Untersuchung des Gesamtzusammenhangs. Oberexperte Frank Taylor, der monatelang Klohäuschen in die Luft gesprengt hat, um herauszufinden, wieviel Sprengstoff für den Absturz nötig war und wo er angebracht werden mußte, wollte die 1986 und 1991 aus dem Meer herausgeholten Trümmer der DC9 überhaupt nicht ansehen. Er hielt es auch ganz und gar für unter seiner Würde, auf simple Fragen zu antworten wie jene, wie bei der Explosion Splitter eines Getränkewagens auf der anderen Seite des Klosetts in den Körper einer vor der Toilette sitzenden Frau geraten sein könnten.

Und auch die anderen Fachleute gucken nur pikiert, fragt man sie, wie denn die Bombe ausgelöst worden sein soll: Möglich sind für derlei Attentate entweder Zeitzünder oder Zünder, die auf abnehmenden Luftdruck reagieren.

Am besten gar nicht erst überprüfen

Im Falle eines Zeitzünders müßte man freilich erklären, wie der wissen konnte, daß die Maschine in Bologna mit unvorhersehbaren zwei Stunden Verspätung gestartet war. Im Falle des Druckzünders ist nicht recht verständlich, warum der erst beim Sinkflug – bei dem der Luftdruck steigt – ansprach, denn eigentlich müßte er beim Aufsteigen – bei dem der Luftdruck sinkt – die auslösende Schwelle erreichen.

Auch über die Art, wie die Höllenmaschine an Bord kam, schweigen die Experten – und auch darüber, daß das Serviettenkästchen nicht gerade das ideale Versteck ist, greift da doch fast jeder Klobenutzer hinein.

Jahrelang haben Journalisten, aber auch Mitglieder diverser parlamentarischer Untersuchungskommissionen hinter dem Fall herrecherchiert, unter anderem auch im deutschen Ramstein, wo zwei mögliche Zeugen der seinerzeitigen Vorgänge 1988 beim bis heute nicht aufgeklärten Zusammenstoß der Kunstflugstaffel „Frecce tricolore“ ums Leben gekommen waren. Allmählich war die Mauer des Schweigens durchlässiger geworden, die viele der offiziellen Ermittler, Militärs, Geheimdienste um die Vorgänge gezogen hatten.

Stets hatten die Militärs behauptet, es habe seinerzeit keinerlei militärische Flugbewegungen im fraglichen Raum gegeben; 1990 mußten dann jedoch auch die Offiziere – die nun Strafverfahren am Hals haben – einräumen, daß es an jenem Abend Dutzende von Jäger- und Bomberbewegungen gegeben habe, ja, daß man sogar Abfangaktionen unternommen hatte. Entsprechend weitreichend waren denn auch die Spekulationen, wer da geschossen haben mochte – Amerikaner, Franzosen, Italiener, ja sogar Israelis kamen in Verdacht.

Das alles hat die Experten nicht aus der Fassung gebracht – doch immerhin haben sie ihr Gutachten mit dem Hinweis versehen, daß sie die Raketenhypothese überhaupt nicht recherchiert hätten – weil es „keine Beweise dafür“ gäbe.

So dumm können sich nur Gelehrte anstellen. Sie sollten herausfinden, was eigentlich passiert war, und schlossen eine mögliche Version schon aus, bevor sie sie überhaupt untersucht hatten. Zu erwarten war derlei freilich: Als die taz vor vier Jahren den Fall aufnahm, weil zu viele Fakten im Absturz von Ramstein ungereimt erschienen, befragte sie auch einen der damals gerade in die Expertenkommission geholten deutschen Experten. Und der sagte, er wisse zwar noch nicht allzu viel von der Sache, aber „die Leute werden sich wundern, wenn herauskommt, daß es doch eine Bombe war“. Bleibt die Frage, wieso man vier Jahre recherchieren mußte, wenn man das Ergebnis schon vorher festgeklopft hatte. Werner Raith