„Wir glaubten an den Sozialismus“

■ Im Prozeß um Westberliner Stasi-Agenten schwärmt dessen Führungsoffizier von „väterlicher Freundschaft“

Berlin (taz) – Cetin Teze ist von Beruf Fernfahrer. Zu Mauerzeiten fuhr er oft nach Ost-Berlin. Am 20. Dezember 1973 kaufte er in einer Wechselstube am Bahnhof Zoo Ost-Mark. Tezes Freundin lebte in Ost-Berlin; er war auf dem Weg zu ihr. Klaus Lindner, von dem heute jede Spur fehlt, beobachtete Teze damals, sprach ihn an und fragte, ob er nicht bei Fluchtversuchen mithelfen wolle. Lindner lockte mit 2.000 Mark. Teze sagt, er habe damals nicht nachgedacht.

In einem präparierten Chevrolet fuhr Teze eine Frau, die er am Alexanderplatz kontaktiert hatte, zum Checkpoint Charlie.

Dort endete Tezes Nebenverdienstfahrt abrupt. Zwei Grenzsoldaten zwangen ihn, den Kofferraum zu öffnen. Die darauffolgenden 36 Monate blieb er in der DDR. Zwangsweise.

Innerhalb von fünf Minuten verurteilte ihn ein Gericht zu fünf Jahren Gefängnis Berlin-Rummelsburg. Man habe ihn „korrekt“ behandelt, sagte Zeuge Cetin Teze, 50, gestern vorm Berliner Kammergericht. Das Gericht unter Vorsitz des pfiffigen Eckehard Dietrich versucht herauszufinden, ob Gerd F. womöglich Tezes Fluchtkuriertätigkeit und anderes ans Ministerium für Staatssicherheit (MfS) verpetzt hat. Und ob er in den 70er Jahren relevante Wahlkampfstrategien von SPD und Willy Brandt an die Stasi-Krake verpfiffen hat. Als Westberliner Kommunist und Journalist hat F. alias IM „Franz“ 20 Jahre der Stasi-Hauptabteilung XX/5 (Politische Untergrundtätigkeit) gedient. Für diese arbeiteten 43 Inoffizielle Mitarbeiter, Gerd F. sei, so sein damaliger Führungsoffizier, der „beste“ gewesen.

Diese Charakterisierung deckt sich mit der Aussage eines sozialdemokratischen Weggefährten, der gestern als Zeuge vernommen wurde. Gerd F., der Stasi-Agent in U-Haft, habe in der Wilmersdorfer SPD an sehr vielen Sitzungen teilgenommen und „immer mitdiskutiert“. Dieser Fleiß sei sehr selten gewesen. Fleiß attestierte auch Ulf Hoffmann, 35, dem fast doppelt so alten F. Hoffmann, gelernter Diplom-Kriminalist, ist heute bei einer Softwarefirma angestellt.

Bis Oktober 89 war Hoffmann der Führungsoffizier von IM „Franz“, der wegen seines Bartes, so Hoffmann gestern, „ja immer mehr wie Karl Marx aussieht“. Eine „väterliche Freundschaft“ habe beide miteinander verbunden, sagte Hoffmann.

„Wir glaubten an die Idee des Sozialismus.“ Und diese Idee, so Hoffmann, gegen den ein Verfahren läuft wegen seiner MfS-Tätigkeit, sei im Herbst 1989 nicht gestorben. Denn: „Zu Runde-Tische-Zeiten herrschte mehr Demokratie als jetzt.“

Gerd F. habe eine „hohe Wertigkeit“ fürs MfS besessen. Was sich auch daran erkennen läßt, daß Gerd F. laut Stasi-Akten den DDR-Fernsehagitator Eduard von Schnitzler bewunderte. Aber auch daran, daß F. noch bis Mitte 1990 dem MfS-Verwalter „Amt für Nationale Sicherheit“ zuträglich war. Der Prozeß wird fortgesetzt. Thorsten Schmitz