„Kommunisten haben die größten Opfer gebracht“

■ Rosemarie Reichwein, Witwe eines der Männer des 20. Juli, über die Würdigung des Widerstands

Rosemarie Reichwein (90) war seit 1933 mit dem sozialdemokratischen Pädagogikprofessor Adolf Reichwein verheiratet. Im gleichen Jahr verloren beide ihre Arbeit bei der Akademie in Halle. Er wurde Dorfschullehrer in der Mark Brandenburg, sie gebar vier Kinder. Über Helmuth James Graf Moltke kam Reichwein zum „Kreisauer Kreis“. Nach der Verhaftung Moltkes beteiligte er sich aktiv an den Vorbereitungen zum Attentat. Zusammen mit Julius Leber stellte er die Verbindung des „Kreisauer Kreises“ zu den Kommunisten her. Bei einem Treffen mit dem Berliner KPD-Führer Anton Saefkow wurden beide verraten. Leber und Reichwein wurden am 20. Oktober 1944 hingerichtet. Rosemarie Reichwein lebte dann bis 1945 bei Freya von Moltke in Kreisau, später in Schweden und heute in Berlin.

taz: Frau Reichwein, stört es Sie, immer nur als Frau eines Mannes des 20. Juli genannt zu werden?

Rosemarie Reichwein: Nie. Ich gehöre doch zu einer anderen Generation. Wir standen hinter unseren Männern, und wir haben sie gestützt. Sie wußten, daß sie auf ihre Familien keine Rücksicht nehmen brauchten, und das hat ihnen Kraft gegeben. Was wir da für eine Rolle spielten, war wirklich nicht so wichtig. Hauptsache, die Aktion, auch wenn wir nicht die Details kannten, gelang. Wenn er mir sagte, jetzt treffe ich mich mit dem und dem, habe ich immer gesagt: ja, gut. Ich war doch auch gegen die Nazis, und natürlich wußte ich, daß das ein großes Risiko war. Aber die Familie war trotzdem nicht so wichtig. Ich hatte auch nie das Gefühl, daß ich, nur weil ich meinen Mann unterstützte, politisch aktiv war. Aktiv waren für mich die kommunistischen Frauen, die bei der Arbeit Sabotage machten oder Flugblätter verteilten. Das fand ich sehr beachtlich. Aber dazu hatte ich nie Gelegenheit.

Ab wann fragte man Sie nach Ihren Erinnerungen?

Zum ersten Mal 40 Jahre nach dem 20. Juli 1944. Da kam die Defa und machte einen Film über die Frauen: „Wir haben nichts zu bereuen“. Vorher habe ich über die Zeit nur mit denen geredet, die dazu gehörten. Auch mit den Kindern habe ich wenig darüber gesprochen. Heute werfen sie mir das vor. Aber man muß sich, um das zu begreifen, die Zeit vorstellen. Nach dem Krieg wollten nicht einmal die Besatzungsmächte anerkennen, daß es einen Widerstand gegeben hat. Sie hingen noch der These von der Kollektivschuld der Deutschen an. Und ganz schlimm war die Ablehnung der Umgebung. Die Nachbarn waren nur neidisch und mißgünstig, weil wir als Angehörige des Widerstands Carepakete erhielten. Und viele trauerten noch dem Nationalsozialimsus hinterher, hielten unsere Männer für Verräter. Die Distanz von uns zu den anderen war riesig, und hätte ich geredet, man hätte mir doch nur vorgeworfen, daß ich mich hervortun will. Es hat auch fast zehn Jahre gedauert, bis ich für mich und meine vier Kinder eine Rente bekam. Die Jahre, bis die Kinder groß waren, waren von ganz anderen Sorgen geprägt.

Aber es gab doch seit den fünfziger Jahren jährlich eine Gedenkfeier, in dem nicht nur der militärische Widerstand, sondern auch der des Kreisauer Kreises gewürdigt wurde.

Zu den Feiern bin ich auch jedes Jahr hingegangen. Aber nur, um ganz persönlich etwas zu erfahren, um den Kreis der Hinterbliebenen kennenzulernen. Vorher kannte jeder doch nur seinen eigenen Kreis. Ich wußte doch nicht einmal, daß es auch außerhalb des Kreisauer Kreises einen christlichen Widerstand gegeben hatte. Auch für meinen Sohn waren diese Treffen sehr wichtig. Denn in der Odenwaldschule wurde ihm immer der Vater als Beispiel hingestellt. Damit kam er sehr schwer zurecht. Als er dann bei den 20.-Juli-Feiern merkte, anderen Kindern geht es genauso, er ist nicht alleine, war das wie eine Befreiung für ihn.

Heute engagieren sie sich dafür, daß der Widerstand der Kommunisten nicht vergessen wird, obwohl ihr Mann von einem Kommunisten, der sich damit die Freilassung aus dem KZ erkaufte, verraten wurde.

Es schmerzt mich, und es ist historisch nicht gerechtfertigt, wenn jener Widerstand von konservativen Parteipolitikern vereinnahmt wird. Die Kommunisten haben die größten Opfer gebracht. Sie füllten als erste die Konzentrationslager. Nach den Juden haben sie am meisten gelitten. Interview: Anita Kugler