Ein anderer Oggersheimer

Napoleon Seyfarth, Meister des schwulen Schelmenromans und Kritiker aller „Verrißäer“, hat ein Selbstgespräch geführt. Tenor: Weg von rosa Büroklammern als genehmem Sinnbild von Homo-Emanzipation  ■ Von Micha Schulze

Napoleon, der Aids-Literat; Napoleon, der tapfere HIV-Positive; Napoleon, der mit dem drohenden Tod so offen umgeht. Man kann sie nicht mehr lesen, diese staunenden „Alle Achtung!“-Rufe der meist heterophilen und HIV-negativen Kritikerschar.

Vier Leitz-Ordner voll mit ewig gleichen Rezensionen seines Romans „Schweine müssen nackt sein“ stehen bei Napoleon Seyfarth bereits im Regal. Sicher, der kleine, schnauzbärtige Berliner, dem die schwarze Lederjacke fest an den Körper gewachsen zu sein scheint, hat vielen Positiven Kraft gegeben. Doch sein besonderes Verdienst bleibt, der schwulen Literatur und Szene wieder eine Portion Emanzipation eingehaucht zu haben – in einer Zeit, wo die Homobewegung sich darin genügt, öffentliche Gelder in rosafarbene Büroklammern und rückenfreundliche Schreibtischsessel umzuwandeln.

Die beiden Heteros, die Napoleon im vergangenen Sommer mit dem Tonbandgerät aufsuchten, scheinen es begriffen zu haben. Uwe Britten und Eva Schlittenbauer hatten sich den aidskranken Autor für die „Wortmeldung“- Reihe des Palette-Verlages ausgeguckt und ihn interviewt. Weil Napoleon jedoch beim Anblick des Rohmanuskripts „fast einen Herzinfarkt“ bekam, arbeitete er das Gespräch um, formte aus dem Interview ein Selbstgespräch und baute die Napoleon-typischen Wortspiele ein. Allein, weil aus Kritikern „Verrißäer“ wurden, lohnt es, zu dem kleinen Band zu greifen.

Lederhausfrauen, Aidshilfebürokraten

Eigentlich hätte „Schwein oder Nicht-Schwein“ in der grünen Reclam-Reihe „Erläuterungen und Dokumente“ erscheinen müssen, die Germanistikstudis so sehr lieben, weil sie Werke der Weltliteratur kommentiert, ohne daß viel über sie nachgedacht werden muß. Napoleon kommentiert nämlich vor allem seinen Schweine-Roman. Für alle, die nicht zwischen den Zeilen lesen konnten, stellt er klar, wie er was gemeint hat, zieht her über die Rezeption seines Werkes und die seiner Person und rundet sein Selbstgespräch mit Klatsch und Tratsch ab: „Napoleon, was soll auf Deinem Grabstein stehen? - Hier ruht Napoleon. Er war anders als sein Ruf.“

Vieles kommt einem bekannt vor, Napoleons Oggersheimer Jugend und seine furchtbaren Tanten, die Hausfrauen-Typen aus der ach so harten Lederszene, die Bürokraten von der Aidshilfe. Da erinnert man sich mit Freuden oder langweilt sich, je nachdem. Und man quält sich durch kleine Eitelkeiten. Wie konnte es der große Fritz J. Raddatz nur wagen, den kleinen Napoleon in der Zeit als „kleinen Postbeamten“ abzustempeln. Darüber ist er bis heute nicht hinweggekommen. Trotzig stammelt er an gegen die Arroganz des Großkritikers, um sich im Anschluß zu entschuldigen, sein Werk in kürzester Zeit verfaßt zu haben.

Stärke zeigt Napoleon als „Anti-Gauweiler“. So wie der bayerische CSU-Gauleiter mit Aids- Ängsten gegen Homos hetzt, nutzt Napoleon Seyfahrt die Aids- Schiene für die schwule Emanzipation. Als einer der wenigen offen Aidskranken der Republik macht er nicht nur auf sich und seine Krankheit aufmerksam, sondern auch auf das anstößig-schwule Leben. Napoleon redet nicht vom Standesamt, sondern vom Faustfick, er bricht Tabus, ohne zu mystifizieren. Mit Rückgrat und Ironie bringt er dem heterosexuellen Rest der Welt (und nicht nur dem) die explosive Kraft bei, die im Schwulsein steckt. Napoleon wäre der ideale Politikredakteur einer Homogazette wie magnus – aber das wäre wohl die größte Strafe, die man dem kleinen Genießer antun könnte.

Solidarität mit dem Alltag

So sehr sich Napoleon in der Szene in die Nesseln setzt, so bedingungslos solidarisch ist er mit anderen Positiven. Fast verbissen verteidigt er Mario Wirz, den Aids-Dichter, der nicht kämpft, sondern trauert, dessen Roman „Es ist spät, ich kann nicht atmen“ vor Betroffenheit nur so trieft. „Man stelle sich diese ungeheuerliche Frechheit vor: Sie wollen einem sogar das Weinen verbieten“, entgegnet Napoleon: „Das ist so, als würde ich am Bett eines Sterbenden dozieren, daß er gefälligst keine Schmerzen zu erleiden und möglichst schnell, geräuschlos und in Schönheit zu sterben habe.“ Solidarität mit dem Alltag, aus dem Napoleon herausragt.

Und wann heult der zynische Streiter selbst? Selten, antwortet Napoleon im neuen Buch, allenfalls beim Ficken. „Bei manchen Sexerlebnissen, leider bei den wenigsten, kommen solche Urgefühle hoch.“ Und das ist eben der Unterschied zwischen Napoleon Seyfarth und Mario Wirz: Der eine schreibt über das schwule Leben, der andere hat außer dem Virus wenig, das zu erzählen lohnt.

Napoleon Seyfarth: „Schwein oder Nicht-Schwein“. Palette Verlag Bamberg, 20 DM