Robert Jungk war für die Ökologiebewegung ein entscheidender Motor und für die tageszeitung ein unverzichtbarer Gesprächspartner. Kompromißlos bekämpfte er seit 45 Jahren den atomaren Wahnsinn. Am Donnerstag ist der Publizist und Zukunftsforscher im Alter von 81 Jahren gestorben. Von Manfred Kriener

Robert Jungk, der gute Mensch von Salzburg

In den frühen Jahren der taz war Robert Jungk für die damals erste und einzige Ökologie-Redaktion der Republik nicht nur Orientierungshilfe und Mutmacher. Er war auch unser Dauer-Interviewpartner. Egal wo gerade Landstriche vergiftet, Atomfässer versenkt, Hüttendörfer geräumt, die Vorräte im Supermarkt Erde geplündert wurden, die Redaktionskonferenz beschied immer wieder und beinahe automatisch: Robert Jungk anrufen! Die Telefonate nach Salzburg wurden zu unserer schönsten Pflichtübung. Alle duzten ihn, und alle waren stolz darauf, daß dieser große Mann uns kleine Würstchen so liebenswürdig behandelte. Aber vor allem lohnten sich die Anrufe journalistisch: Der freundliche Mensch am anderen Ende der Leitung konnte, darauf war Verlaß, aus dem Stegreif pointiert, spannend und leidenschaftlich Stellung nehmen.

Keine Frage: Robert Jungk war die moralische Instanz der Ökologie- und später der Friedensbewegung. Und er war viele Jahre lang ihre geistige Kraftzentrale. Hunderte von Podien, auf denen sein weißer Schopf leuchtete. Hunderte von Demonstrationen, auf denen der Vordenker mitmarschierte und sprach. Ungezählt sind seine Vorwörter für ebenso unzählige Bücher. Aber niemand nach ihm konnte ein Buch schreiben, das für die Karriere des ökologischen Gedankens von ähnlicher Bedeutung gewesen wäre wie seine eigenen Werke. Sein großer Bestseller „Die Zukunft hat schon begonnen“ (1952) gehört zu den wichtigsten Büchern, war gewissermaßen der verfrühte Startschuß für die Ökologiebewegung, lange vor den Publikationen des Club of Rome. „Heller als tausend Sonnen“ (1956) und das Hiroshima-Buch „Strahlen aus der Asche“ (1959) sind zwei weitere Klassiker, die den Aufbruch der Ostermarschierer beförderten, später strahlten sie in die Umweltdebatte der siebziger und achtigzer Jahre hinein.

In den Siebzigern hatte sich die Anti-Atom-Bewegung zur relevantesten Protestbewegung der Bundesrepublik entwickelt. Die Bürgerinitiativen, die landesweit an den Zäunen rüttelten und Bauplätze besetzten, wurden zur „neuen Landplage“ (FAZ). Jungks „Atomstaat“, in dem er die sozialen Folgen jenes Atomparks zu Ende dachte, den uns die Hohenpriester der Atomgemeinde in ihren Energievisionen beschert hatten, wurde zur Bibel der AKW- Gegner, ihr Verfasser beinahe zum Säulenheiligen. Auf vielen der atomaren Schauplätze von Wyhl bis Brokdorf, Kalkar bis Gorleben, war Robert Jungk zu Hause. Seine ganze Hoffnung und Sympathie gehörte den Demonstranten und Platzbesetzern. Ihnen konnte er die Grunderfahrung seines Lebens vermitteln, die er als Zeuge eines Atomtests so eindringlich geschildert hat: „Ehe ich noch ,Zero‘ verstanden hatte, schnitt schon der grell blendende Blitz in das Himmelstuch und direkt in mich hinein. Die Welt zerriß, löste sich auf in überirdisch glänzende Lichtbündel. Sie konnte nie mehr die gleiche für mich sein.“ Vom Gründer der Süddeutschen Zeitung soll er gelernt haben, so anschaulich wie dramatisch zu schreiben.

Als die Polizei am 4. Juni 1980 die „Freie Republik Wendland“ räumte, landete Jungks Stellungnahme zu der Polizeiaktion allerdings im taz-Papierkorb: Er hatte sich aus ohnmächtiger Wut gründlich im Ton vergriffen. Durfte man den Widerstand gegen ein Atommüll-Lager zu einem historischen Kampf verklären? Robert Jungks Haltung resultierte aus ganz anderen persönlichen Erfahrungen als die der jungen Demonstranten. Über die Erlebnisse in Hiroshima schrieb er: „Die Gespräche, die Blicke in Augen, die so Entsetzliches gesehen hatten, die Gesten, mit denen sie erzählten, wie sie über Leichenberge kletternd, durch von Panik erfaßte Menschenmassen drängend sich in Sicherheit gebracht hatten und bald darauf ihr Wühlen in verstrahlten Trümmerhaufen. All das berührte mich unmittelbarer als alles, was ich bisher über diese Katastrophe erfahren habe. Als ich Hiroshima verließ, war ich ein anderer geworden.“ – Mit dem politischen Siegeszug der Grünen Anfang der achtziger Jahre erhielt die Protestbewegung ihren parlamentarischen Arm. Unbestritten war Robert Jungk einer der Väter der grünen Partei und ihr bester politischer Freund. Während die rauschebärtigen Führungsfiguren der Partei – „Wir sind die, vor denen uns unsere Eltern immer gewarnt haben“ – mit ihren zerrissenen Pullovern eher als Bürgerschreck reüssierten, konnten Figuren wie Robert Jungk auch unsere Väter und Mütter erreichen. Der gute Mensch strahlte bei ihm aus allen Knopflöchern.

Jungk hat sich oft gegen das Etikett „Zukunftsforscher“ gewehrt. Aber diese Berufsbezeichnung verschaffte ihm immer wieder Zugang zu den Medien. Und Jungk war tatsächlich einer der wenigen Menschen, die sich den Luxus leisteten, beständig darüber nachzudenken, was aus diesem Planeten mit seinen verrückt gewordenen Erdlingen werden soll. Diese Sonderstellung und seine unbestrittene Kompetenz als Technikkritiker verschafften ihm Respekt. Seine Biographie verlieh ihm zusätzliche Autorität.

Seine jungen Jahre, seine Mitarbeit im sogenannten „Gegnerkreis“, seine journalistische Arbeit gegen die Nazis oder die dramatische Befreiung seiner Mutter – diesen Robert Jungk kennen noch immer viel zu wenige. Auch der Jude Robert Jungk tritt selten hervor. Und wenn, dann oft verdeckt. Auschwitz taucht in seiner Autobiographie in der Geschichte vom Stehaufmännchen „Moritz“ auf: „Noch heute träume ich von ihm. Und dann sehe ich das beharrliche Männlein in einem großen halbdunklen Zimmer, das fast bis an die Decke angefüllt ist mit den Gegenständen, die ich im Laufe dieses langen Lebens verloren habe: Mützen und Hüte aller Farben und Stoffe, Brieftaschen, Portemonnaies, Brillen mit dünnen und dicken Rändern, Bücher, Zeitschriften, Zeitungen in den verschiedensten Sprachen, aber auch Pyjamas und Mäntel, Hemden und Unterwäsche. Ach, die vielen Schlüssel, die Fahrkarten und mindestens vier Reisepässe. Sie haben sich in diesem Alptraumraum versammelt, und über ihnen thront mein Stehaufmännchen. Unbeweglich. Es hat Ruhe gefunden.“