Skatologische Wunderkammer

■ Zwischen Fäkalhumor und Philosophie der Kunst als Klärung: Die Ausstellung "Cloaca Maxima" in Zürich

Nach Ausstellungen in der eigenen Küche, in der Stiftsbibliothek St. Gallen, in einem Hotelzimmer des Charlton Palace, Paris, und an Bord von Austrian Airlines hat Hans-Ulrich Obrist (26), an der Seite von Kasper König zum international bekannten Ausstellungsmacher aufgestiegen, nun seine Serie mit Projekten in der Peripherie des Ausstellungsbetriebs vervollständigt – gewissermaßen in der Toilette. Das Museum der Stadtentwässerung, eine mit Kloschüsseln, Kanalkratzern und Kanalisationskarten vollgestopfte Baracke am Stadtrand von Zürich, schließt jenen dem Nahrungskreislauf parallel gesetzten Ausstellungszyklus, der 1991 in Obrists kleiner Küche in St. Gallen begann. Damals hatten Boltanski, Bouabré, Feldmann, Gette, Paeffgen, Signer, Wentworth und Fischli/Weiss die Nahrungsaufnahme metaphorisiert, jetzt widmen sich unter anderem Gilbert & George, Hans Haacke, Ilya Kabakov, Nancy Spero, Allan Kaprow, Mike Kelley, John Miller, Otto Mühl und Gerhard Richter allen Begleiterscheinungen der Defäkation. Ihre künstlerische Kanalarbeit fügt sich nahtlos in die Aufgaben einer Kläranlage. Einziger Unterschied: In den Werkshallen nebenan stinkt die Scheiße zum Himmel, nicht aber in den wohlfeilen Vitrinen des Museums, wo Kunstrelikte der Kot-Klassiker Duchamp, Manzone, Gasiorowski und Dieter Roth ausliegen.

Daß der seit dem 16. Jahrhundert immer stärker tabuisierten Entsorgung der Zivilisation von ihren Abfällen eine Separierung des Privaten von der Öffentlichkeit und eine Sublimierung der Scheiße folgen muß, hat schon Dominique Laporte („Eine gelehrte Geschichte der Scheiße“) gewußt; aber nicht, daß das von Lebensmittelresten, Zigarettenstummeln, Windeln, Kondomen und Katzenstreu gereinigte Abwasser in den Kreislauf zurückgepumpt werden kann. Anders die KünstlerInnen der „Cloaca Maxima“, sie wissen: Was hinten herauskommt, muß vorne reingekommen sein. Zumindest in der Kunst gelingt der Beweis, daß das Öffentliche einen privaten Ursprung hat. Während beispielsweise in Chinas öffentlichen Toiletten kollektiv defäkiert wird, muß in der westlichen Welt die Notdurft in der Isolierzelle vollbracht werden. Meistens fehlt auch noch das Klopapier. Und die reißmüllfeste Frankfurter Allgemeine eignet sich nur bedingt zum Abwischen, im Gegensatz zur Pekinger Volkszeitung.

Daß Kunst „Möglichkeiten des Oszillierens vom Öffentlichen ins Private eröffnet und Exkremente von ihren Negativkonnotationen befreit“ (Obrist), daß sie die Intimität aus der Tabuzange löst und verallgemeinert, hat der in New York und Paris lebende Ilya Kabakov in seiner Inszenierung des Gemeinschaftsklos einer russischen Kommunalwohnung eindrucksvoll vorgeführt. Hinter der vollgeschmierten Klotür ertönt jetzt melancholischer Gesang. Anders als in Kabakovs documenta-Installation „Die Toilette“ wird der Sowjetstaat hier nicht pauschal denunziert, das Klo erscheint jetzt vielmehr als Refugium aus dem sozialistischen Alltag.

Verglichen mit der poetisierten Weltformel des Moskauer Konzeptualisten verrichten Christian Boltanski und Peter Fischli/David Weiss nicht mehr als solide Klempnerarbeit. Boltanski klaubte in der Kanalisation schwimmende Gegenstände auf, und Fischli/Weiss schnitten einen lustlosen Rohrfernsehfilm zusammen. Steven Pippin ließ eine Wanze im Museumsklo installieren, aus dem am Eingang montierten Lautsprecher rauscht wie eine Naturgewalt das Gurgeln der Spülung. Das feine englische Understatement ist es nicht, aber überaus lustig, was man von Andreas Slominskis Bananen, denen der Urin des Künstlers injiziert wurde, nicht sagen kann.

„Cloaca Maxima“ – eine Öko- Ausstellung, eine Ansammlung von recyclebarer Anal-Art? Obrist hat die künstlerischen Arbeiten mit Exponaten und Schautafeln aus der Sammlung des Museums kombiniert, die Kunst also aus dem Folterkeller der Autonomie freigelassen und in einen soziokulturellen Zusammenhang gestellt. Kloschüsseln vom Barock bis zur Gegenwart, monströse Abflußrohre und zart aquarellierte Katakombenverzeichnisse – eine skatologische Wunderkammer. Der Mensch ist, was er ißt, wie Bruno Bauer drastisch formulierte. Die parallel zur Ausstellung angebotenen Führungen durch das Klärwerk geleiten dann direkt in den Odeur-Orkus. Aber auch hier Wunder über Wunder: Die aus dem Schlamm herausgefilterten Tomatenkerne zum Beispiel treiben in einem Fäkalienhaufen bereits neue Pflanzen. „Cloaca Maxima“ – eine Ausstellung der Kompostmoderne.

Nun wäre eine Ausstellung über Scheiße nicht vollständig, wenn sie nicht sozusagen ihre eigenen Verdauungsprobleme hätte. Otto Mühl, der in einer Art Schauprozeß zu sieben Jahren Knast verurteilte Kinderficker vom Friedrichshof und aus falsch verstandener Solidarität eingeladen, durfte einen sogenannten „skatologischen Altar“ ausstellen, den die Fachzeitschrift Texte zur Kunst übrigens als Graphik-Edition vertreibt – im wahrsten Sinne des Wortes als letzter Scheiß. Marius Babias

Bis 30. Juli im Museum der Stadtentwässerung Zürich, Bändlistr. 108. In der Zeit vom 1. August bis 30. Oktober wird die Ausstellung auf Anfrage geöffnet. Katalog im Cantz Verlag, Stuttgart, 27 Mark