„Sie können nur Gutes schreiben“

Vom Umgang mit den radioaktiven Altlasten der Wismut  ■ Aus Johanngeorgenstadt und Schlema Nicola Liebert

Neue Schilder weisen die schmale Straße, die sich von Aue durch die erzgebirgischen Täler nach Johanngeorgenstadt windet, als „Silberstraße“ aus. Silber, Kobalt und Wismut wurden im Erzgebirge schon vor Jahrhunderten gewonnen. Auch Uranerz, das die Bergleute Pechblende nannten, hat man gefunden, aber als wertlos weggeworfen. Dann begannen sich Wissenschaftler dafür zu interessieren – zum Beispiel Marie Curie, die später als eines der ersten Opfer der Radioaktivität an Krebs sterben sollte. Die höchste Radioaktivität fand Curie in der Pechblende aus Johanngeorgenstadt.

Folgerichtig hat nach dem Krieg hier die sowjetische Besatzungsmacht begonnen, nach Stoff für ihr Atomprogramm zu graben. In Johanngeorgenstadt war Schacht eins der 1946 gegründeten Sowjetischen Aktiengesellschaft Wismut. „Wismut“ ist ein bloßer Tarnname; das Uran hat man kaum je beim Namen genannt.

Kurz vor der tschechischen Grenze liegt Johanngeorgenstadt, jedenfalls der Landkarte zufolge. Die Straße schlängelt sich tatsächlich an einem Ortsschild vorbei, auch ein Hinweisschild „Altstadt“ ist zu finden, aber keine Stadt. Ein paar Vorkriegshäuser am Hang, dann nur noch dichter Nadelwald.

Endlich tauchen die ersten Häuser auf. Später erklärt Bürgermeister Hans-Joachim Herrmann, daß bei dem Schild „Altstadt“ unten im Wald tatsächlich Johanngeorgenstadt war – bis die gesamte Innenstadt, unter der das meiste Uranerz lag, Mitte der fünfziger Jahre abgerissen wurde. Zuvor hat hier ein Boom stattgefunden, fast wie der kalifornische Goldrush hundert Jahre zuvor. Binnen fünf Jahren wuchs die Zahl der Einwohner von 6.500 auf 45.000; Häuser, oft nur Holzbaracken, wurden teilweise an nur einem Tag hochgezogen.

Die Baracken, kasernengleich, bestimmen heute noch das Bild von Johanngeorgenstadt. Weiter oben am Berg ist dann in den fünfziger Jahren die erste sozialistische Mustersiedlung der DDR entstanden: ohne Kirche, dafür mit großem Kulturhaus. Schon 1958 war hier der Uran-Rush wieder vorbei. Jetzt hat Bürgermeister Herrmann das Problem, wie er die Baracken wieder los wird. Abriß oder Sanierung sind teuer, und weder Wismut noch Bundesregierung – seit einem Regierungsabkommen mit der Sowjetunion 1991 alleinige Wismut- Eigentümerin – fühlen sich verpflichtet, für die Sanierung der Altstandorte aufzukommen.

Um mögliche radioaktive Verseuchung geht es dem jugendlich- umtriebigen Bürgermeister dabei nicht in erster Linie. Die Abraumhalden wurden schon in den 70ern planiert und bepflanzt, von außen läßt sich kaum noch Radioaktivität messen, erklärt Herrmann. Ob radioaktives Material das Grundwasser gefährdet, das möchte man lieber nicht so genau wissen.

Auch die Schlammteiche – atomare Endlager unter freiem Himmel, in denen das feingemahlene Erz nach der Uranaufbereitung gesammelt wurde – machen dem Bürgermeister wenig Kummer. Nachdem das Uran extrahiert wurde, bleiben noch etwa 85 Prozent der Radioaktivität in den Rückständen. Der Sand aus den Absetzbecken sei doch jahrzehntelang zum Bauen verwendet worden, „als Kind habe ich selbst in den Schlammteichen gebadet – und wir leben alle noch“, beruhigt Herrmann seine eigenen Nerven. Ein Uranmuseum als Touristenattraktion, das ist nun der große Traum des Bürgermeisters.

Anderswo ist der Uranabbau noch nicht Geschichte geworden. In Schlema und Aue haben Tausende Arbeiter noch bis 1990 nach dem Erz gegraben. Schlema ist inzwischen nur noch das Gerippe einer Stadt. Vor dem ehemaligen Zechenhaus, das jetzt eine Hotelfachschule beherbergt, erstreckt sich eine riesige flache Halde. Ein Bulldozer schiebt das grauschwarze Geröll herum, auf einer Seite bedeckt schon eine dünne Schicht rötlicher Tonerde das strahlende Gestein. Hier arbeitet die Wismut GmbH an der Sanierung ihrer eigenen Altlasten. Die Halde soll einmal der Festplatz der Gemeinde Schlema werden.

Den leise vor sich hin strahlenden Rest der Uranerzgewinnung haben die Wismut-Arbeiter rings um die Bergwerksschächte aufgehäuft, mal kegel-, mal tafelförmig, mitten im Ort. Manche Halden sind inzwischen mit Erde abgedeckt und sehen nach harmlosen Wiesen aus. Vom Zechenhaus aus sieht man zwischen den grünen Hügeln aber auch abstoßend schwarze Kegel hoch aufragen. Die Niederschlemaer Häuser, soweit sie nicht dem Uran geopfert wurden, stehen vereinzelt im Tal.

Vor einer der Halden, neben einer eingezäunten Ruine, die einmal eine Kompressorenstation war, steht ein Container, aus dem diverse Masten ragen. Eine Umweltmeßstation, wie sie die Wismut inzwischen zu Hunderten aufgestellt hat. Im Schatten der Halde ist die Radioaktivität etwa viermal so hoch wie die natürliche Hintergrundstrahlung. Aber, erklärt ein Mitarbeiter der Umweltabteilung der Wismut, „täuschen Sie sich nicht. 800 Meter weiter, bei den nächsten Häusern, kommt davon nichts mehr an“. Und falls das noch nicht überzeugend genug klang: „Außerdem weht der Wind doch immer in die andere Richtung.“

In der Region zwischen Dresden und dem thüringischen Gera stehen 34 Flächen, zusammen 1.500 Quadratkilometer groß, im Verdacht, radioaktive Altlasten zu sein. Die DDR war der drittgrößte Uranerzeuger der Welt, nach den USA und Kanada. Nur anders als dort wurde hier mitten in dichtbesiedelter Landschaft gebuddelt. Zwei Millionen Menschen leben in der Region.

Schlema war vor dem Krieg ein Kurort, berühmt für seine heilkräftigen radioaktiven Radonbäder. Viel ist von dem verflossenen Glanz nicht mehr zu sehen. Aber der Schlemaer Bürgermeister Barth träumt gerne von alten Zeiten: Kurgäste sollen schon bald durch einen Garten lustwandeln, der gerade am Fuße einer Halde angelegt wird, wo der Boden über den Bergwerksstollen eingesunken ist. Ein Kurhaus mit 200 Betten ist projektiert.

In einem Ort, in dem die Arbeitslosigkeit 35 Prozent beträgt, seit die Wismut kein Uran mehr fördert, sind solche Träume verständlich. Von den früher über 4.000 Arbeitern sind gerade zehn Prozent noch in Lohn und Brot. Sie holen zum Beispiel Altöl, Schrott und giftige Hinterlassenschaften aus den Stollen, die danach geflutet werden sollen. Sie planieren die Halden, decken sie mit wasserundurchlässiger Tonerde und mit Mutterboden ab, befestigen die Böschungen und bepflanzen sie schließlich. Die Abdeckung soll verhindern, daß Radon nach oben ausgast und Regenwasser durch das radioaktive Gestein sickert und das Grundwasser verseucht.

Auf den meisten der sanierten Flächen werden keine Wohnungen mehr gebaut werden können. Aber auf einer Wiese über einer alten Tafelhalde ist bereits ein modernes Einkaufszentrum entstanden. Neben den nagelneuen Gebäuden ragen kleine Rohre einen halben Meter aus dem Boden. Durch sie kann das Radon aus dem Boden entweichen, damit es sich nicht in den Gebäuden anreichert. In freier Luft verdünnt es sich so schnell, daß es als harmlos gilt.

Immerhin fließt für die Sanierung einstweilen noch Geld in die Region. 13 Milliarden Mark läßt sich das Bundeswirtschaftsministerium die Sanierung der gesamten Wismut-Hinterlassenschaften kosten. In zehn bis fünfzehn Jahren soll alles vorbei sein. Nur noch das Wasser, das aus Halden und Stollen sickert, muß noch über einige Jahre gereinigt werden.

Einige der verbleibenden Wismut-Arbeiter, in neue blaue und grüne Overalls gekleidet, sitzen in der inzwischen privatisierten Werkskantine, die immer noch DDR-Charme ausstrahlt, und erzählen von ihrem Unbehagen. Nicht etwa, weil schon über 7.000 ehemalige Kollegen an anerkanntermaßen an strahlenbedingtem Lungenkrebs gestorben sind. Worüber sie sich aufregen, ist nur, daß ihnen keiner sagt, wie lange sie noch Arbeit haben werden.

„Ob ich irgendwann mal Krebs kriege, weiß ich nicht. Aber ob ich meinen Lohn kriege oder nicht, das weiß ich sehr wohl.“ Außerdem: Strahlenprobleme, die gibt's hier nicht, erklärt man einhellig. Sicher seien ihnen Fälle von Krebs bekannt. Aber es sei doch allenfalls in den frühen Jahren hier so schlimm gewesen, als noch trocken gebohrt wurde, als der radioaktive Staub die Lungen verstopfte. Es hat doch auch immer regelmäßige Gesundheitsuntersuchungen gegeben. Die waren immer o.B., ohne Befund.

Sein Vater, der ab Anfang der sechziger Jahre eingefahren sei, sei mit 50 an Lungenkrebs gestorben, erzählt ein Mitarbeiter einer Umweltinitiative. Und nicht nur der: Von den vierzig Männern in seiner Brigade seien gerade noch fünf am Leben. Über den Krebs hätten alle Bescheid gewußt. Aber aufgemuckt hat keiner, auch jetzt nicht. Den Frust haben sie im Schnaps ertränkt, dem Schnaps, den die Wismut-Arbeiter steuerfrei erhielten und über den sie gesagt bekamen, daß er gut sei gegen Staublunge. Gekämpft wurde später allenfalls um die Entschädigung. Und die Jungen würden am liebsten die Minen gleich wieder öffnen. In den Uran-Zeiten gab es wenigstens Arbeit, gut bezahlte auch noch. Ein Wismut-Arbeiter verdiente das Dreifache eines normalen Lohns.

Daß die Verdrängung bestens funktioniert, bestätigt auch der Umweltbeauftragte der evangelischen Kirche, Joachim Krause, der im Auftrag des Bundesumweltministeriums die Gesundheitsakten der Wismut sichert. „Man hat das alles nicht wahrgenommen. Von meinem Schlafzimmer aus kann man die Haldenkegel am Horizont erkennen, aber ich habe sie einfach nicht gesehen.“ Die Wismut war nie ein Gesprächsthema. „Wer da über Krebsfälle geredet hat, galt schon als Nestbeschmutzer.“ Umweltschützer sehen sich noch heute mit solchen Vorwürfen konfrontiert. „Hör auf, du willst nur unsere Region kaputtmachen“, bekommt Georg Heydecke vom BUND Zwickau, der der Wismut bei ihren Sanierungsarbeiten auf die Finger schaut, oft gesagt.

„Wenn man den ganzen Horrormeldungen in den Zeitungen glauben würde, dann müßten wir hier alle schon längst tot sein“, erklärt die etwa fünfzigjährige Betreiberin einer gutbürgerlichen Gastwirtschaft in Schlema energisch. Schuld an der Misere, wenn man ihr glaubt, ist nicht etwa die Wismut. Die Journalisten von außerhalb seien es, die die Gegend in den Dreck ziehen. „Es ist alles in Ordnung hier. Sie können nur Gutes schreiben über die Region“, sagt sie zum Abschied in fast beschwörendem Tonfall.