■ Der hinderlichwe Sieg der Anhaltiner Ostalgiker
: Ohne die PDS geht in Sachsen-Anhalt nur noch die Große Koalition. taz-Gastkommentator Claus Leggewie analysiert das Wahlergebnis vom Sonntag. Sein Fazit: Der Linkspopulismus verhindert ...

Ohne die PDS geht in Sachsen-Anhalt nur noch die Große Koalition. taz-Gastkommentator Claus Leggewie analysiert das Wahlergebnis vom Sonntag. Sein Fazit: Der Linkspopulismus verhindert das rot-grüne Reformbündnis.

CDU und PDS sorgen beide auf ihre Weise dafür, daß sich nichts verändert.

Der hinderliche Sieg der Anhaltiner Ostalgiker

Der „Geist von Halle“ hat sich nicht zum „Wunder von Magdeburg“ ausgewachsen, sondern zu einem politischen Widersinn. Sachsen-Anhalt, Armenhaus und Chemieruine in der Mitte Deutschlands, hat, wenn man „Gysis bunte Truppe“ so einstufen will, zu 60 Prozent links gewählt, behält aber den Ministerpräsidenten einer abgewirtschafteten Koalition, die nicht einmal so viel christliche Demut (oder wenigstens Fairneß) aufbringt, die Packung anzuerkennen, die sie vom Wähler bekommen hat, und die Änderungswürdigkeit ihrer Politik zuzugeben. Die Wahlenthaltung eingerechnet, haben gerade noch 18 Prozent der 2,15 Millionen Wahlberechtigten Bergners CDU das Vertrauen ausgesprochen. Die Sozialdemokraten gewinnen im Osten, aber nicht genug, um die Schlüsselrolle der ostdeutschen Ressentiment- und Blockadepartei PDS zu verhindern. Die Bündnisgrünen schaffen es nicht, als erste Erneuerungskraft an die Bürgerbewegung anzuknüpfen, die die SED zum Teufel gejagt hat. Also erhalten CDU und PDS den Status quo. Beide versprechen auf ihre Weise, daß sich in diesem Land nichts ändern soll. Wer hätte 1990 gedacht, daß nicht der Rechtspopulismus – von den Reps über den Brunner-Bund bis zur Statt Partei – die Regierungschancen von Rot-Grün verbessert, sondern der Linkspopulismus ebendieses Reformbündnis verhindern kann? Die PDS hat das Bonner Establishment in die Zwickmühle gebracht und sieht sich bereits im Bundestag, zumal sich auch im Westen genug WählerInnen „fundamentaloppositionell“ gerieren. Sie verlängern damit nur die Ära Kohl. Das Zusammenspiel der alten Regime hüben und drüben blockiert den Wechsel.

Die „linke Alternative“ hat laut Wählerwanderungsbilanz von beiden großen Parteien in etwa gleichem Umfang Stimmen gewonnen, am wenigsten wohl bei den rhetorisch angesprochenen sozial Schwachen. Damit ist sie auf dem Weg von einer Milieupartei der abgewickelten Intelligenz, die in der DDR bekanntlich die herrschende Kleinbürgerklasse war, zur ostdeutschen Regionalpartei, die vor allem aus den Rathäusern, aber auch aus dem Kader- und Geldvermögen der SED Kraft bezieht. Hintze & Huber werden alles versuchen, die SED-Nachfolger als verfassungsfeindliche linksextreme Partei zu stigmatisieren und sie als „fünfte Kolonne“ der SPD aufzuhalsen, auch wenn sie selbst Zweckbündnisse mit der PDS eingehen und ungeniert Ex-SEDler umwerben. Es wird kaum gelingen, die medial bestens positionierten Ostalgiker mit denselben Mitteln kleinzukriegen wie die Reps im Westen. Von Weizsäckers Wort zum Wahlsonntag, die PDS nicht „auszugrenzen“, müssen Sozialdemokraten und Bündnisgrüne so auslegen, daß sie um die Hälfte bis zu zwei Drittel des PDS-Wählerpotentials konkurrieren müssen, vor allem um die Jungen.

Rudolf Scharping hat seinen Parteiapparat von den Sitzen gerissen, aber die potentiellen Wähler der SPD noch nicht in hinreichendem Maße. Bei Umfragen in Sachsen-Anhalt war Rot-Grün die meistgewünschte Koalitionsoption. Der auf die Mitte zielende Kurs Scharpings und das koalitionspolitische Versteckspiel der Sozialdemokraten zahlen sich nicht aus – hier nicht und auch nicht auf Bundesebene. Nur eine rot-grüne Koalition kann aus dem drohenden Patt herausführen, alles andere ist die Fortschreibung der Magdeburger Verhältnisse auf Bundesebene, mit einem sozialdemokratischen Vizekanzler. Auf Bundesebene besteht zwar nicht die Magdeburger Fast-Zweidrittelmehrheit links von der christlich-liberalen Koalition. Aber noch können PDS-Wähler im Osten davon überzeugt werden, daß die fröhliche Bunkermentalität die ostdeutsche Misere verlängert. Rational wird PDS-Wählen nur, wenn diese Partei eine Fußnote der Wendegeschichte bleibt, wenn sich Blockierer in Reformer verwandeln. Dazu müssen auch im Westen die Rot-Grün-Wähler vom Flirt mit dem Linkspopulismus ablassen. Es gibt immer noch genug links fühlende WählerInnen, die „auf keinen Fall“ Scharping wählen wollen – und für ihr Votum vor allem ästhetische und atmosphärische „Argumente“ vorbringen. Das ist linker Stammtisch oder der mentale Durchbruch der DKP nach ihrem Tode. Die vermeintlich konsequente Oppositionsstrategie der PDS legt eine fundamentalistische Alternative zum realpolitischen Weg an die Macht auf, der beim Magdeburger Länderrat der Bündnisgrünen nicht ohne Ambivalenzen bestätigt worden ist. SPD und Grüne konkurrieren untereinander, aber vor allem um den besten Weg, WählerInnen für den Wechsel zu mobilisieren. Die trotzige Sanktionswahl gegen das eigene Lager (und gegen das „kleinere Übel“) bewirkt, daß Kohls Bauernregel aufgeht und der Dicke, gegen den wahrlich nicht nur ästhetische und atmosphärische Argumente sprechen, im Herbst die Ernte einfährt.

Dabei ist des Kanzlers Lage weit schlechter, als seine Parteistrategen vorgeben. Die FDP ist sogar in ihrer historischen Hochburg untergegangen, kann nicht einmal die „Besserverdienenden“ zufriedenstellen und hat als Zünglein an der Waage ausgedient. Kinkel wird jetzt vor allem um Zweitstimmen von Unionsanhängern kämpfen und gegen die drohende Große Koalition mobil machen, während Kohl für die Fortsetzung der Bonner Koalition mit der Vierprozentpartei werben muß. In keiner der letzten Wahlen haben beide genug zustande gebracht, um in Bonn weiterregieren zu können. Die rechte Mitte, die durch solche Manöver nicht größer wird, hat erst recht kein „Wunder von Magdeburg“ zustande gebracht – und ihr „Debakel von Bonn“ im kommenden Oktober ist bei nüchterner Betrachtung der Wahlarithmetik keineswegs abgewendet. Claus Leggewie

Der Autor ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Gießen