Liebt uns, oder wir sterben

Kinkel beschwört eine Republik ohne FDP/ Lambsdorff: „Schmusekurs mit Kohl muß aufhören“/ Verantwortung für Wahldesaster liegt in Magdeburg  ■ Aus Bonn Hans Monath

Hamburg, Niedersachsen, Europa, Sachsen-Anhalt: Die vierte Wahl hat den Liberalen das vierte Desaster in Folge eingetragen. Jedoch weichen ihre Spitzenkräfte den wirklich wichtigen Fragen noch immer aus. Über Wahlkampflinien wurde wohl am Tag nach Magedeburg gestern in Bundesvorstand und Präsidium diskutiert, aber nicht über die Zeit nach der Bundestagswahl.

Wo aber bleiben die liberalen Spitzenpolitikerinnen und -politiker, wenn ihre Fraktion nicht mehr in den Bundestag einzieht? Kinkel bringt genügend Erfahrung mit für einen Staatssekretärposten (beamtet) im Auswärtigen Amt, Irmgard Schwaetzer könnte nach Privatisierung des Geschäftsobjekts die Schürmannbau GmbH leiten, Günter Rexrodt endlich die Treuhand abwickeln, die er von innen kennt, und Sabine Leutheusser- Schnarrenberger zum Europäischen Patentamt zurückkehren – als Präsidentin.

„Die Lage der FDP ist ernst“, gestand Parteichef Kinkel gestern ein – andere sprachen offen von „existentieller Gefährung“ (Lambsdorff). Auch wenn Kinkel die Übertragbarkeit der Ergebnisse von Magdeburg auf die Bundesebene vehement bestritt: Der Außenminister schien förmlich geschockt von der Möglichkeit, daß Wählerinnen und Wähler seine Partei nicht mehr für wichtig halten. Die Vorstellung von einer Republik ohne die FDP hält er offensichtlich für ein Schreckmittel. Die Beschörungsformel lautete: „Deutschland braucht die Liberalen.“

Betretene Stimmung erzeugt bei den Liberalen die Erkenntnis, daß allein Helmut Kohl und die CDU, aber nicht die FDP-Minister, vom Aufschwungthema der vergangenen Wochen profitieren. Kinkel: „Wir haben es zu oft zugelassen, daß sich andere mit unseren Federn geschmückt haben.“

Die Strategie der stärkeren Abgrenzung gegenüber der CDU verkündete der Parteichef gestern allerdings nicht zum erstenmal. Sie war von ihm auch schon vorher zu hören – zuletzt nach der Europawahl.

Kinkel zeigte sich nicht bereit, das Ergebnis „allein auf die Bundeskappe zu nehmen“: Der Landesverband Sachsen-Anhalt habe selbst zu diesem Ergebnis beigetragen. Ähnliche Einschätzungen über die Magdeburger, die keine Koalitionsaussage getroffen hatten, waren bei den Liberalen gestern häufig zu hören. Die Jungen Liberalen und der baden-württembergische FDP-Vorsitzende Roland Kohn forderten den Magdeburger Landesvorsitzenden Kunert zum Rücktritt auf.

Ausgerechnet Graf Lambsdorff, Hohepriester der Marktwirtschaft, wandte sich gestern in Interviews gegen eine Verkümmerung der FDP zur reinen Wirtschaftspartei. Die FDP müsse eine Partei sein, die auch den liberalen Rechtsstaat hochhalte und sich um den Umweltschutz kümmere. Lambsdorff über seinen Parteichef: „Der Schmusekurs mit Kohl muß aufhören, da muß Kinkel Korrekturen vornehmen.“