■ Nach der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt
: Kein Rot-Grün heißt nicht Rot-Rot

Es sind zwei parteipolitische Überlebenskalküle, die in den ostdeutschen Ländern und bald wohl auch im Bund den Zwang zur Großen Koalition konstituieren. Denn die andere, in Sachsen Anhalt denkbare Alternative, Rot-Rot, bedeutet nicht nur für die Sozialdemokraten, sondern auch für die PDS allerhöchste Gefahr. Ersteres ist evident, zweiteres wird gerne übersehen.

Es gehört ja nicht allzuviel Phantasie dazu, sich die Propaganda auszumalen, die die Sozialdemokraten schon für den bloßen Gedanken an eine Koalition mit der PDS zu immerwährenden Kommunistenknechten stilisieren würde. Für Rudolf Scharping jedenfalls wäre das eine Angelegenheit, vor der sich alle Pannen des Wahlkampfes ins Marginale verflüchtigen würden. Aus diesem Grund nehmen in der Baracke, bevor auch nur die heimliche Hypothese einer rot-roten Kooperation abgeklopft wäre, die Reflexe ihren Lauf. Kein führender Sozialdemokrat, der in diesen Tagen nicht ständig unter rituellem Bekenntniszwang stünde: Mit der PDS, niemals!

Davon profitiert, wer sonst, die PDS. Es ist dieser Angstreflex der SPD, der Gregor Gysi und seiner Partei nicht nur weitere Wähler verschafft, sondern es ihr zugleich denkbar einfach macht, ihr eigenes Überlebenskalkül zu verschleiern. Denn ohne Frage wäre jeder PDS-Akteur in Regierungsverantwortung nichts anderes als das Dementi dessen, wovon die Partei ihre Attraktivität bezieht: ein spektakulärer Widerruf des oppositionellen Gestus, der bloßen Repräsentation des Protests gegen die in der Tat unzulänglichen Verhältnisse. Was denn hätte die PDS von einem sachsen- anhaltinischen Sozialminister zu erwarten – außer dem personifizierten Nachweis, daß er es auch nicht besser könnte als sein Vorgänger von der Union? Eine schnellere Methode zur Einäscherung des Phönix PDS jedenfalls ist nicht in Sicht. Auch deshalb und eben nicht nur wegen der Furcht der SPD vor dem Stigma ist mit einer PDS-Regierungsfraktion auf absehbare Zeit nicht zu rechnen. Bauernschlau wie seinerzeit der Grüne Thomas Ebermann bietet jetzt der sachsen-anhaltinische PDS-Chef Roland Claus den Sozialdemokraten die Tolerierung an. Die SPD an der Leine der PDS und die ohne direkte Mitverantwortung, das wäre für Höppner und Co, allein schon in medialer Hinsicht, die schlimmste denkbare Variante, für Scharping der Weg Richtung Null.

Also keine Chance für die SPD zur Entzauberung der PDS, keine Chance für Gregor Gysi, zu demonstrieren, was seine Anhänger schon längst vermuten: Der Mann ist ministrabel. Statt zum Verantwortungsträger zu mutieren, wird und darf Gysi es weiterhin vorziehen, seiner unkenntlichen, weil ungeforderten Partei das linke, offene Image zu verschaffen. Doch auch die Mehrheit für einen PDS-Mann als Bürgermeister in Hoyerswerda kann uns schwerlich vom Multikulti-Charakter der Gemeinde überzeugen, die allen noch anders in Erinnerung ist. Anders gefragt: Warum eigentlich finden die „Republikaner“ im Osten gerade noch ein Prozent? Will heißen: das „Dagegen“, das die PDS derzeit repräsentiert, ist – im besten Falle – eine Mischung aus Opposition und Autoritätshörigkeit, aus Altkommunismus und Reformfreude, aus aggressivem Ressentiment und Unvoreingenommenheit. Das Heterogene zusammengehalten und attraktiv verpackt zu haben ist die herausragende Leistung Gregor Gysis. Dafür trägt er die Verantwortung. Wie auch immer, allein mit dem Verweis auf das ungeschiedene Potential, das unter dem Namen PDS derzeit jongliert wird, ließe sich, auch jenseits aller Angstreflexe, nüchtern begründen, warum sich ein Land im Umbruch doch eher mit der Union als mit der PDS regieren läßt.

Für die SPD als Partei wie für Rot-Grün als Regierungsalternative ist der schnelle Weg aus dem Minderheitsstatus, zumindest im Osten, nicht in Sicht. Beide, die Bündnisgrünen wie die SPD, haben 1990 ihre Aufgabe verpaßt, einem Teil der perspektivlos gewordenen DDR-Elite einerseits, den ins Offene aufbrechenden Jungen andererseits eine politische Perspektive zu bieten. Ob die Bürgerrechtler, damals schon wieder im Abseits, oder die SPD, immer unter dem propagandistischen Verdacht der SED-Nähe, diese Funktion wirklich hätten erfüllen können, ist fraglich. Fest steht: Die Abwanderung von Alt und Jung zur PDS wurde nicht verhindert, sondern mit dem rigiden Blick auf die SED-Vergangenheit vieler potentieller Partner forciert.

Der Slogan, wer PDS wählt, wählt Große Koalition, stimmt bis auf weiteres. Doch umgekehrt gilt: wer den Kurs prinzipieller Ausgrenzung fortschreibt, zementiert den rot-grünen Minderheitsstatus. Was die PDS zu verklammern sucht, müssen Bündnis und SPD abspalten. Das wird schwieriger als 1990, aussichtslos ist es nicht. Matthias Geis