Symbole in Worten

■ Tradition als „action painting“: Japanische Kalligraphie von Kyoko Muraki im Museum für Kunst und Gewerbe

Von Yin und Yan, den Symbolen für Sonne und Mond, wird man begrüßt. Riesengroß pinselt die aus Tokyo stammende Schriftkünstlerin Kyoko Muraki Zeichen der Kanji-Schrift auf hauchdünnes Japanpapier. Auf Seide aufgezogen und von ornamentalen Bordüren eingerahmt begegnen uns nach dem Gegensatzpaar Sonne und Mond - dem A und O ostasiatischer Philosophie - die Urzeichen der Elemente: Himmel und Erde, Feuer und Wasser, Wind und Wolken, aber auch Vogel und Baum, „Gebet“ und „Universum“. Kleine Täfelchen erklären die Herkunft der Schriftsymbole und ermöglichen so den Vergleich zwischen ihrer Urform und ihrer künstlerischen Umformung.

Bis zu 70 Zentimeter lang und 12 Zentimeter breit sind die Pinsel, mit denen Kyoko Muraki ihre Zeichen aufs Papier schwingt: In einem geistigen und körperlichen Kraftakt ringt sie in ihrem Pinselwerk um die Urbedeutung dieser Symbole und die „wahre Kraft des geschriebenen Wortes“.

Virtuos und vielfältig ist dabei der Umgang mit Pinsel und Tusche: Zarte, halb durchsichtige Gebilde, deren scheinbar spielerisch hingeworfene Formen eine aquarellartige Binnenstruktur aufweisen, erzeugt sie mit stark verdünnter Tusche. Andere Beispiele ihrer Ein-Zeichen-Kalligraphie wirken durch die Wucht und die expressive Gestik tiefschwarzer Pinselschwünge. Aus Klecks-, Spritz- und Verlaufsspuren läßt sich die Entstehung dieser Formgebärden rekonstruieren. Kyoko Muraki gelingt es so, den 3.500 Jahre alten - und von den Chinesen übernommenen - Sprachbildern eine grafische Aktualität zu verleihen, in der sie sich mit der Bildsprache der Moderne treffen. Wäre nicht das strenge Schwarz-Weiß der Arbeiten - das nur zuweilen vom roten Signierstempel der Künstlerin und von in den Räumen aufgestellten japanischen Blumenarrangements aufgelockert wird - so könnte man meinen, Inkunabeln des amerikanischen action painting oder abstract expressionism vor sich zu haben: Arbeiten des New Yorkers Franz Kline zum Beispiel.

Wer sich jedoch im geistigen Raum Japans weiterbewegen will, findet unmittelbar neben den drei Ausstellungsräumen die Schätze der Japan-Sammlung des Museums ausgebreitet. An traditioneller Malerei und Schnitzwerk vorbei gelangt man zwei Säle weiter zum japanischen Teehaus Shoseian. Und wer sich von ostasiatischer Ästhetik und Denkart angesteckt fühlt, kann dort samstags oder sonntags an einer japanischen Teezeremonie teilnehmen und japanische Kultur als Gesamtkunstwerk erleben.

Kai-Uwe Scholz

Museum für Kunst und Gewerbe, bis 7. August, Katalog 25 Mark