Nebensachen aus Budapest
: Friedhofsunruhe

■ In der ungarischen Hauptstadt wird der Platz für die Toten immer knapper

Auf den hauptstädtischen Friedhöfen läutet die Glocke heutzutage fast pausenlos, und es wird im Halbstundentakt begraben. Im Zeitalter einer immer verwirrenderen Beschleunigung ist die Hektik bereits bis ans Ende des Lebens vorgedrungen. Übervölkert wie die Metropole sind auch die Orte der sogenannten letzten Ruhe. Ohne schnelle, radikale Maßnahmen werden wahrscheinlich schon zur Jahrtausendwende alle vierzehn noch arbeitenden Totengärten wegen Überlastung schließen müssen.

Im Landesvergleich gesehen, ist ihre Kapazität am schlechtesten. Seit dem Zweiten Weltkrieg richtete die Hauptstädtische Friedhofsselbstverwaltung keine neuen Grabflächen mehr ein, von zwei kleinen Urnenparks abgesehen. Vier Jahrzehnte grundlegender Versäumnisse gehen nun, so die ungarische Presse, mit einer „alarmierenden Übertotung“ einher. Der Direktor des Hauptstädtischen Begräbnisinstitutes warnt, daß die Grenze der Belastbarkeit mit derzeit 30.000 Toten pro Jahr erreicht sei. Ohnehin stünden nur dreieinhalb Quadratmeter je Grabeinheit zur Verfügung, obwohl das Doppelte ideal wäre.

Noch im Jahre 1950 gab es 87 Friedhöfe. Doch auf Anordnung des Parteistadtrates wurden zwei Jahre später 75 von ihnen geschlossen: „Jetzt rächt sich die kurzsichtige Friedhofsplanung der einstigen Stadtväter ebenso wie der kulturgeschichtliche Umstand, die Toten aus der unmittelbaren Umgebung der Lebenden zu verbannen, statt ihre Knochen in Schachteln im Haus aufzubewahren, wie es bei manchen außereuropäischen Völkern, die man bedauerlicherweise als primitiv ansieht, üblich ist.“

Nicht zuletzt hat auch der Übergang zur Marktwirtschaft zu dem akuten Notstand beigetragen. Subventionierten die heute fast bankrotten Bezirksverwaltungen dem Begräbnisinstitut früher jährlich 300 Verstorbene in vollem Umfang, so stieg die Zahl in diesem Jahr auf 1.500 an. Weil sie diesen Zustand nicht länger aufrechterhalten können, will das Institut sich in eine private Aktiengesellschaft umwandeln. Trotz gestiegener Preise, führt der Direktor an, schreibe das Unternehmen rote Zahlen, denn die Tarife trügen im Vergleich zu den 48 Privatfirmen weiterhin „sozialpolitischen Charakter“. Man wolle sie, erklärt er, auch in Zukunft nicht in astronomische Höhen treiben. Aber Profit sei vorerst das wichtigste. Denn es müssen nicht nur dringend neue Trauergartenflächen in Betrieb genommen werden. Auch die Krematorien warten auf ihre Modernisierung. Verursacht die immer populärer werdende Verbrennung doch eine zunehmende Umweltverschmutzung.

Die größte Sorge bereitet aber der Vandalismus auf den Friedhöfen. Zuerst seien nur Bronzelampen verschwunden, klagt der Abteilungsleiter für Begräbnisse, jetzt werde bereits alles entwendet und verkauft, was man bewegen könne. Neuerdings belästigt sogar eine Mafia die Besucher der Verstorbenen. Hunderte Unternehmer, die erst als Grabsteinwäscher arbeiteten, geben sich nun mit Hilfe gefälschter Lizenzen als Steinmetze aus und versuchen Betroffenen gestohlene Grabsteine zu überhöhten Preisen aufzudrängen. Lehnen die Kunden ab, verwüsten diese „Unternehmer“ die Grabstätten ihrer Verwandten. Angesichts all dessen wäre es den Toten nicht übelzunehmen, drehten sie sich in ihren Parzellen entsetzt um. Und so sollte zumindest der überflüssige Autoverkehr auf den Friedhöfen endlich unterbunden werden.

Aus der ungarischen Presse übersetzt und collagiert von: Keno Verseck