Die „qualifizierte“ Auschwitz-Leugnung

NPD-Chef Deckert steht erneut wegen der Leugnung von Auschwitz vor dem Mannheimer Landgericht / Bundesgerichtshof hatte erstinstanzliche Verurteilung aufgehoben  ■ Aus Mannheim Bernd Siegler

„Die Sache ist nicht einfach.“ Richter Wolfgang Müller von der 6. Strafkammer des Mannheimer Landgerichts weiß, was auf ihn zukommt. Er muß entscheiden, ob der Vorsitzende der rechtsextremen „Nationaldemokratischen Partei Deutschlands“ (NPD), der 54jährige ehemalige Gymnasiallehrer Günter Deckert, sich der Volksverhetzung schuldig gemacht hat. Seitdem der BGH Mitte März die erstinstanzliche Verurteilung Deckerts kassiert hatte und die nationale und internationale Öffentlichkeit empört einen „Freibrief“ für die Verbreitung der Leugnung des Holocaust gewittert hatte, steht das gestern begonnene Revisionsverfahren im Brennpunkt des Interesses.

Gegenstand der Verhandlung ist eine von Deckert am 10. November 1991 in seinem Heimatort Weinheim organisierte Veranstaltung mit dem selbsternannten „Gaskammerexperten“ Fred Leuchter. Der NPD-Chef hatte den in englischer Sprache gehaltenen Vortrag von Leuchter übersetzt und kommentiert. Der Amerikaner leugnete darin die Existenz von Gaskammern in Auschwitz und den Massenmord an den Juden. Leuchter nannte in Weinheim Auschwitz eine „Gaskammer- Lüge, die dem deutschen Volk aufgezwungen worden“ sei. Zum Abschluß der Veranstaltung erklärte Deckert den „Holo“ für beendet.

Im November 1992 wurde Deckert vom Landgericht Mannheim wegen Volksverhetzung und Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr und einer Geldstrafe in Höhe von 10.000 Mark verurteilt. Er habe sich „vorbehaltlos“ mit Leuchters Behauptungen identifiziert, urteilte damals das Gericht. Sowohl Deckert als auch die Staatsanwaltschaft gingen in die Revision. Die Richter vom Ersten Strafsenat des BGH gaben zwar der Vorinstanz recht, wonach der in Gaskammern begangene Massenmord als geschichtliche Tatsache „offenkundig“ sei. Sie kassierten jedoch die Verurteilung Deckerts wegen Volksverhetzung und warfen den Mannheimer Landrichtern eine zu pauschale Urteilsbegründung vor. Die Verbreitung der sogenannten „Auschwitz-Lüge“ allein reiche zu einer Verurteilung wegen Volksverhetzung nicht aus. Es hätte der „qualifizierten Auschwitz-Lüge“ bedurft. Dazu müsse aber vor Gericht bewiesen werden, daß der Täter nicht nur den Holocaust leugnet, sondern daß er sich darüber hinaus „mit der NS-Rassenideologie identifiziert“ oder daß er „die Tatsache der systematischen Morde an Juden als Lügengeschichte darstellt“.

Das Landgericht, so urteilten die Karlsruher Richter, hätte konkrete Beweise erbringen müssen, ob Deckert mit seiner Behauptung, in Auschwitz seien keine Juden vergast worden, „die Menschenwürde des von der Tat betroffenen jüdischen Bevölkerungsteils in Deutschland“ angegriffen hat. Geschehe dies nicht, könne die Leugnung des Holocaust nicht als die mit zu fünf Jahren Haft geahndete Volksverhetzung gewertet werden. Die BGH-Richter sparten in ihrer schriftlichen Urteilsbegründung nicht mit Tips, wie das Landgericht die Verurteilung wegen Volksverhetzung wasserdicht machen kann: Es bräuchte nur bestimmte „Gesten“ Deckerts oder die „Betonung einzelner Passagen durch Stimmlage und Laustärke“ nachweisen.

Dementsprechend penibel nahm die 6. Strafkammer das von Deckert nach wie vor weiterverbreitete Videoband von Leuchters Auftritt in Weinheim unter die Lupe. In weiten Passagen gab Deckert darauf die Rede des Amerikaners jedoch wortwörtlich oder sinngemäß verkürzt wieder. Im Unterschied zur Vorinstanz liegt dem Gericht jetzt nicht nur ein Mitschnitt der Leuchter-Rede vor, sondern auch Deckerts Veranstaltungseinführung und vor allem seine Diskussionsbeiträge. Darin lobte er Leuchter für dessen „Mut und Charakter“, bedankte sich überschwenglich für dessen „Seelenmassage für das deutsche Volk“ und forderte eine „Objektivierung der ganzen Geschichte“. Die Verhandlung wird fortgesetzt.