Skepsis gegenüber Rocards Vorschlägen

■ Nach der Niederlage bei den Europawahlen stellte der französische Sozialistenchef die Vertrauensfrage / Kleiner Parteitag / „Ende der Strömungen“

Paris (AFP) – Skeptisch haben die zum Kleinen Parteitag in Paris versammelten französischen Sozialisten gestern die Vorschläge von Parteichef Michel Rocard zur Erneuerung der Partei aufgenommen. In seiner Rede, mit der er die Konsequenzen aus dem jüngsten Wahldebakel der Sozialistischen Partei (PS) bei den Europawahlen zog, sprach sich Rocard insbesondere für die Überwindung der Strömungen aus, die bisher das parteiinterne Kräfteverhältnis bestimmen. Ein Vertrauensvotum, von dem Rocard sein Verbleiben im Amt an der Parteispitze abhängig machen wollte, stand am Nachmittag noch aus.

In seinem Auftritt vor den 300 Delegierten des sogenannten Nationalen Rats verkündete Rocard das Ende der Strömungen, die von den Parteiveteranen angeführt werden. Dies sind neben Rocard selbst die ehemaligen Parteivorsitzenden Lionel Jospin, Pierre Mauroy und Laurent Fabius sowie die Ex-Minister Jean Poperen und Louis Mermaz. In diesen Reihen wurden Rocards Vorschläge zunächst überwiegend als unzureichend bewertet.

Als „Schönheitskorrektur“, die keine inhaltliche Erneuerung bringe, wurde auch der Wunsch des Parteichefs kritisiert, den Vorstand um einige zugkräftige Vertreter zu erweitern. Rocard will unter anderem den prominenten Ex- Kulturminister Jack Lang sowie die ehemaligen Ministerinnen Elisabeth Guigou, Segolene Royal und Martine Aubry als Vertreterinnen der Nachwuchsgeneration in das Nationale Büro holen, das bisher 27 Mitglieder umfaßt.

Rocard unterstrich vor den Delegierten, daß er nur im Amt bleiben werde, wenn er Zustimmung zu seinem Parteireformprogramm erhalte. Den Anspruch auf die Präsidentschaftskandidatur im nächsten Jahr hatte Rocard bereits nach Bekanntwerden des Wahlergebnisses vom 12. Juni aufgegeben. Die Partei verschob inzwischen die Entscheidung über ihren Kandidaten auf Anfang 1995.

Die durch den Machtverlust im vergangenen Jahr ausgelöste Krise der französischen Sozialisten hat sich durch das Debakel bei den Europawahlen noch vertieft. Die Sozialisten erzielten am 12. Juni mit 14,5 Prozent das schlechteste Ergebnis seit Bestehen der Partei. Im Hinblick auf kommende Wahlentscheidungen stellt sich für die Sozialisten die Frage eventueller Bündnisse, insbesondere mit dem skandalumwitterten Links-Rebellen Bernard Tapie, der unter dem Etikett der Splitterpartei Mouvement des Radicaux de Gauche (MRG) zwölf Prozent der Stimmen erhielt.

Die Meinungen hierzu sind geteilt. Während Fabius für eine breite Linksallianz ist, die neben den Kommunisten auch Tapie einschließen soll, ist Jospin gegen eine Allianz mit dem umstrittenen Geschäftsmann.