Transatlantische Projektionen

■ Verschwinden Blut und Boden aus der volkstümlichen Musik, wenn man sie mit dem Trash-Flegel bearbeitet? Liegt München am Rhein oder im mittleren Westen? Fragen zur Zeit, denen sich die Band Freiwillige...

Damals, in den frühen Achtzigern, als die Postmoderne auch hierzulande ausbrach und das Lob der Kybernetik noch in aller Munde war, kam sie auf: die Rede von der „Band für die deutsche Intelligenz“. Heute weiß nicht nur kaum einer mehr, was das sein soll, „die deutsche Intelligenz“, auch Freiwillige Selbstkontrolle, die Band, auf die das Attribut gemünzt war, steht eher enigmatisch in der Gegend herum. Sicher ist immerhin, daß sie nach wie vor an Varianten des Alpinen im Kontext internationaler Folklore arbeitet und daß dieses Gespräch im Münchner Baader- Café stattfand.

Ihr übernehmt gerne Songs, die man als Skurrilitäten deutsch- amerikanischer Musikgeschichte bezeichnen könnte: GI-Songs, in denen München am Rhein liegt, oder Anti-Nazi-Jodler wie „Hitler Lives“. Wo grabt ihr dieses Material aus?

Meinecke: Solche Sachen gibt es auf alten Platten, auf komischen, obskuren Country-Platten, die wir in Amerika oder auch hier finden. In der Gegend von Schweinfurt sitzt zum Beispiel ein gerade zur Frau umgebauter Country-Fan, der ein Mail-order-Label hat und Platten herausbringt, auf denen solche Sachen zu finden sind.

Sucht ihr gezielt nach solchen Skurrilitäten?

Meinecke: Nein, das wäre auch ein bißchen komisch, nur nach so etwas zu suchen. Man findet, wenn man nicht danach sucht. Zum Beispiel diese wunderbaren Propagandalieder: Fast wären auf „The Sound Of Music“, unserer letzten Platte, noch zwei Hits mit den Titeln „Mussolinis Letter to Hitler“ und „Hitlers Reply to Mussolini“ gelandet. Zweimal das gleiche Lied, jeweils aus der Sicht des Briefschreibers, 1942. Es gibt in diesen Songs einfach die schönsten Mißverständnisse. Das ist so, wie wir uns vorstellen, daß alle Arizona-Bands mit einem Dornbusch in der Unterhose daherkommen. Es sind auch Wunschvorstellungen, transatlantische Projektionen. Was ja auch ein Grund ist, warum du hier mit Arizona-Bands viel mehr anfangen kannst, als man in Arizona mit ihnen anfangen kann. Das ist bei uns praktisch andersherum gedacht: Das Bild der Amis von Deutschland stimmt nicht und ist deshalb irgendwie auch wahrer als der Blick aus dem Fenster.

Ich finde ja das Bemerkenswerte, daß in diesen Songs mit einem emphatischen Country-Refrain vor Hitler gewarnt wird, wo in der BRD jeder sagen würde: „Um Gottes willen, so kann man doch den Hitler-Faschismus nicht thematisieren!“

Melián: Wir mußten das auch zum Teil erkären, wenn wir „Hitler Lives“ live gespielt haben. Die Leute haben nicht so auf den Text gehört oder geredet und sich dann beim Refrain gewundert. Da haben wir immer vorher eine kleine Ansprache gehalten, was uns am Schluß dann so genervt hat, daß wir das Stück gekippt haben.

Meinecke: Bei Karstadt wurde unsere LP „Son of Kraut“ wegen dem Stück aus dem Regal genommen, weil irgend jemand das in der Plattenabteilung gehört hatte und mit seiner Beschwerde bis zur Geschäftsleitung vorgedrungen war. Also wurde das Album als Naziplatte aus dem gesamten Karstadt entfernt. Dabei war der Song ein Warnlied, das überhaupt erst nach dem Tod Hitlers 1947 geschrieben worden ist. Es heißt da, daß man die zurückkehrenden Soldaten wieder in die Gesellschaft integrieren solle, sonst würde Hitler wieder leben, weil der ganze Krieg umsonst gewesen wäre.

Hat „Amerika“ eure Methode beeinflußt, Elemente traditioneller Musik in einen vermeintlich naiven Popkontext zu stellen?

Hoffmann: Schon. Zum Beispiel in dem Sinne, daß wir in Amerika das alpine Element für die zentraleuropäische Popmusik wiederentdeckt und sozusagen zurückgeholt haben – feedbackmäßig. Akkordeonspielen, Jodeln, Texmex, Cajun, diese Elemente haben uns besonders interessiert, weil sie auch etwas von unserer eigenen Kultur widerspiegeln.

Meinecke: Und zwar auf eine Weise, wie es nur passiert, wenn du nicht da bist, wo du her bist. Ohne Blut und Boden unter den Füßen ist Volksmusik reizvoller als die sogenannte authentische Volksmusik. Es ist irgendwo besser, wenn es gebrochen wird, zum Beispiel durch Emigration. Und durch das Zurückholen wird es auch nicht wieder zu dem, was es tatsächlich hier ist. Die besten Jodler und Blaskapellen sind in den USA.

Hier ist „Volksmusik“ von vorneherein mit einer konservativen Ausrichtung verbunden, man denkt an Bembel, Schunkeln und Heimatmelodien. In Amerika gibt es diese Ausrichtung nicht?

Meinecke: Nein, da ist es Pop, und für uns ist es auch Pop. Wir sagen übrigens nie von uns, daß wir Volksmusik machen. Es wird immer gesagt, wir hätten eine eigene, neue Art der Volksmusik definiert, das haben wir nie so begriffen. Für uns ist das Popmusik, so wie es auch in Amerika begriffen wird. Es gibt eben Gott sei Dank keine authentische Volksmusik da drüben, so wie es die hier auch nicht gibt, das ist eine Schimäre. Das, was hier immer als authentische Volksmusik gepflegt wird, ist eine kitschige Vorstellung irgendwelcher Musiklehrer aus der Mitte des vorigen Jahrhunderts, die das dann zu Papier gebracht haben. In Wirklichkeit ging's da auch ums Bumsen, bevor der Hirsch auf die Lichtung tritt. Wenn, dann finden wir das Konzept der volkstümlichen Musik besser als das der Volksmusik. Nur gibt es da leider keine guten Bands.

Immerhin gibt es Nicki: „I bin a bayrisches Cowgirl“ und ähnliches.

Meinecke: Nicki ist eine ganz tolle Country-Sängerin eigentlich, die hat nur falsche Produzenten.

Melián: Und falsche Synthesizer. Falsche Szene einfach.

Hoffmann: Das Modell der Volksmusik will im Gegensatz zur volkstümlichen Musik die eigene Tradition, die ungebrochen weiterlebt.

Meinecke: Wir suchen keine eigene Identität. Das kann man in Amerika lernen, wie Musik entsteht: Texmex, Bluegrass, Cajun – das sind alles Bastarde aus respektlos zusammengeschmissenen Sachen.

Es gibt ja Bands wie Haindling, Ringsgwandl oder Hubert van Goisern, die Dialekt oder bayrisch-österreichische Folklore mit Rockmusik verweben. Seht ihr da eine Verbindung zu dem, was ihr macht?

Meinecke: Finden wir alles scheiße. Durch die Bank scheiße, bis auf Attwenger vielleicht. Ist doch alles scheiße, oder? [allgemeine Bekräftigung]

Hoffmann: Entweder, es geht in die Kabarett-Richtung, wie Ringsgwandl, wozu wir überhaupt keinen Zugang haben, oder ist so ein Rockismus wie Hubert van Goisern, wo die Musik einfach scheiße ist.

Wie würdet ihr die spezielle Arbeitsweise von FSK beschreiben?

Meinecke: Bei uns ist es wie Sampeln ohne Strom. Letztens haben wir ein Riff aus einem Glenn- Miller-Stück eingebaut, das steht jetzt völlig einsam da, praktisch wie ein Sample. Das könntest du immer wieder drücken. Es gibt bei uns die Übereinkunft, daß wir uns eben nicht das Originalstück anhören. Bloß nicht zu Hause nachprüfen, wie's wirklich klingt!

Melián: Deswegen wurde in Amerika unsere Musik auch oft als absoluter Punk beschrieben. Wegen dem destruktiven Element.

Nun ist ja Trash auch etwas sehr Amerikanisches ...

Hoffmann: Das ist aber dafür in sich homogen, geht in eine Richtung. Mit Sampeln meinen wir das Heranziehen vieler Quellen. Daß zur Blasmusik bei unserem Stück „Franz Josef Strauß“ ein New Orleans-artiges Schlagzeug dazukommt und nicht nur alte Rock- 'n'-Roll-Nummern verdrescht werden.

Verdrescht?

Hoffmann: Vertrasht, verdrescht! Dresch-Musik. [allgemeine Heiterkeit]

Im Unterschied zu euren früheren Sachen tritt heute bei euch so eine Art gemütlicher Linksradikalismus zutage. Es heißt jetzt nicht mehr „Augstein ist Deutschlands schlimmster Faschist“, sondern „Augstein – so sagt man – ist Deutschlands schlimmster Faschist“. Eingebunden in Blasmusik, als würde man eine alte Bauernweisheit zitieren.

Meinecke: Das ist eben die Trainerfunktion für Eingeweihte: Die Leute wissen das sowieso, daß Augstein der schlimmste Faschist ist. Aber das Lied – „Franz Josef Strauß“ – ist nun besonders vollgestopft mit Konnotationen. Erst mal ist es ein Liebeslied, eine Abschiedsnummer an irgendein Mädchen, dann ein Abschied an Deutschland – „einmal noch über den Rhein / einmal noch voll Drogen sein“ –, und dann geht es noch um den Münchner Flughafen, der ja Franz-Josef-Strauß-Flughafen

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heißt – in der Stadt selbst heißt er nur Flughafen, weil München SPD ist –, und damit auch um Strauß selbst, der ja in eigener Mission mal nach Moskau flog usw., und dann kommt noch diese Sache dazu, daß diese singende Figur im Flugzeug den Spiegel ausgehändigt kriegt und sich überlegt, ob denn die Stewardess auch bei der Waffen-SS war. Du kannst auch dreihundert Seiten daraus machen, hier reißt es eben auf Pop-Art alles an.

Melián: Ohne „so sagt man“ hätte man natürlich auch dem Label einen Prozeß machen können, so ist es abgesichert.

Meinecke: Freiwillige Selbstkontrolle eben, ein retuschiertes Genital sozusagen.

Früher habt ihr Zitatpop gemacht, d.h. Ideologieklischees aus- oder vielleicht sogar bloßgestellt. „Wer mit 20 nie ein Anarchist gewesen ist, der wird nie ein guter Demokrat“ – in „Blue Yodel for Herbert Wehner“ zum Beispiel. Heute arbeitet ihr anekdotischer, interessiert euch mehr für mythische Figuren des transatlantischen Kulturaustauschs wie die Trapp- Familie oder Elke Sommer.

Melián: Geschichtspop! [allgemeine Heiterkeit]

Meinecke: Na ja, aber „Franz Josef Strauß“ zum Beispiel ist doch eigentlich eine ähnliche Geschichte wie „Blue Yodel für Herbert Wehner“. Aber trotzdem hast du recht: Anfang der achtziger Jahre war natürlich das Parolenausgeben und manifestartige Songs zu schreiben strategisch sinnvoll. Slogans im New-Wave- Idiom. Da gab es ja noch keinen Lifestyle-Kolumnismus, die Meinung im Maxim Billerschen Sinne. Das war irgendwann dann mal ausgereizt.

Auf den „Berlin Independence Days 1993“ gab es eine Diskussion um deutschsprachige Musik mit dem Titel „Soll man über eine Avenue singen, wenn man in einer Straße wohnt?“, wo plötzlich die Frage nach Traditionen deutschsprachiger Popmusik aufkam und irgend jemandem dann FSK als Band einfiel, die da vorbildlich vergessene Ursprünge freischaufeln würde.

Meinecke: Aber wir singen ja auch eher Avenue als Straße. Das ist nämlich der Punkt: Man kann ja die verschiedensten Beweggründe dafür haben, wenn man auf deutsch singt, korrekte und unkorrekte. Wenn jemand meint, deutsch singen zu müssen, um eigenständige Kultur zu entwickeln, find' ich das immer scheiße. Es ist immer gut, das Nicht-Eigene zu suchen. Ich finde das Reizvolle am Deutschsingen, daß es das Schwierigere ist, was man sich erst aneignen muß, was einem nicht stereotyp sofort einfällt zu Musik. Man muß für Songtexte auf deutsch eine Brechung vollziehen, die dem entspricht, als spräche man in einer Fremdsprache.

Werdet ihr in Amerika zum Teil auch mißverständlich als Botschafter deutschen Kulturguts aufgefaßt?

Meinecke: Manchmal schon, als Biergarten-Kapelle.

Hoffmann: Es freuen sich dann Leute, die aus Deutschland sind oder deutsche Vorfahren haben: Ah, das haben meine Opas ja auch früher gehört.

Meinecke: So wie wir uns freuen, wenn wir bei Arizona- Bands den Dornbusch sehen, freuen die sich natürlich, wenn sie bei uns Bierflaschen-Geräusche zwischen den Zeilen hören. Es gibt keine Rezension über uns in Amerika, wo nicht das Wort Bier vorkommt. Aber kein Mensch – auch in Amerika – würde uns jemals mögen, welcher eine chauvinistische Vorstellung von Heimat hat.

Meinecke: Nur einmal in Houston haben wir in einem Biergarten namens „Black Forest“ gespielt, da waren sechs betrunkene Leute im Publikum, und auf der Bühne waren sieben. Der Besitzer ging mit der Kasse nach Hause, bevor die Show vorbei war, wär' auch nicht drin gewesen. Die Goethe-Institut- Leute hatten das organisiert. Das Goethe-Institut hat eigentlich eine Vorstellung von deutscher zeitgenössischer Musik, die mehr auf große Bühnen gehört. So Laibach- artiges Gedonner und Neubauten- Sounds. Wenn gejodelt wird, machen die eigentlich sofort zu.

Melián: Nur der Bukarester Goethe-Institutler hat das über sich ergehen lassen. Wir haben in dem großen Bukarester Radiosender, einem Ceaușescu-Gebäude, gespielt. Das Bukarester Publikum hat sehr gut reagiert, man weiß natürlich nicht, warum. Es ging altersmäßig von sieben bis siebzig, ein super Konzert, immer, wenn wir ein Lied aus Amerika angesagt hatten, haben vor allem die Jungen getobt.

Meinecke: Was wir mühsam dekonstruiert haben, haben die hochgerechnet auf 100 Prozent. Die haben da mit geschlossenen Augen gesessen, die haben wahrscheinlich „Route 66“ vor sich abrollen sehen oder auch das Autobahnkreuz Rhein-Main, wo sie nie hinkommen. Deutschland ist ja zu für die, seit wir hier diese neuen Gesetze haben. Du kommst aus dem Himmel, und insofern ist es ein konstruktives Mißverständnis, warum wir da gut ankamen.

Melián: „Sind Sie Protest?“ hat uns ein Jugendradio gefragt. Dort haben die natürlich vor allem die Asylgesetze usw. interessiert. Weil die das ja hautnah betrifft. Die kriegen ja kein Visum, die Roma werden alle zurückgeschickt. Moderation: Christoph Twickel

Von FSK ist gerade eine Live-CD herausgekommen, erhältlich nur über Mail-order (bei Normal in Bonn). In Kürze erscheint bei Suhrkamp Thomas Meineckes neuer Roman „The Church of John F. Kennedy“.