Heteros bleiben weiterhin unter sich

In München und Stuttgart verfehlten schwul-lesbische Wählervereinigungen den Einzug ins Parlament / In der bayerischen Landeshauptstadt mangelte es an 0,05 Prozent für einen Stadtratssitz  ■ Von Micha Schulze

München/Stuttgart (taz) – Lange Gesichter bei der Rosa Liste in München: Beim kommunalen Urnengang am vergangenen Sonntag hat Deutschlands erste homosexuelle WählerInnenvereinigung zum zweiten Mal den Einzug in den Stadtrat verfehlt. Auch in der baden-württembergischen Hauptstadt Stuttgart, wo erstmals die Rosa Lila Liste an den Start ging, wird das Stadtparlament für die nächsten fünf Jahre eine Domäne der Hetero-Parteien bleiben. Mit 1,1 Prozent der WählerInnenstimmen scheiterte die Rosa Liste in München denkbar knapp. Nur ein zwanzigstel Prozent mehr, und Spitzenkandidat Thomas Niederbühl hätte auf einem Stadtratssessel Platz nehmen können. Im Vergleich zur Kommunalwahl vor vier Jahren hat die Homo-Partei ihren Stimmenanteil zwar halten, aber nicht ausbauen können.

Dabei hatte sich die Rosa Liste, um auf Nummer Sicher zu gehen, zwei wahltaktische Schachzüge ausgedacht: So wurde die stadtbekannte Lesbe Marion Hölczl auf Platz 3 gehievt, um erstmals auch bei homosexuellen Frauen auf Stimmenfang zu gehen. Außerdem ging man mit den Münchner Grünen eine Listenverbindung ein, was bei der Auszählung der Stimmen von Vorteil sein kann (ein entsprechendes Angebot der FDP wurde ausgeschlagen). Genutzt hat jedoch beides nichts.

„Es scheint, als ob eine homosexuelle Interessenvertretung von der Szene gar nicht gewünscht wird“, resümiert Thomas Niederbühl enttäuscht. Der Beinahe- Stadtrat wird seine Brötchen nun weiterhin als Geschäftsführer der Münchner Aids-Hilfe verdienen müssen.

Dabei konnte man der Münchener Rosa Liste den Vorwurf, eine bloße Ein-Punkt-Partei zu sein, nicht machen. Im mehrseitigen Wahlprogramm ging es unter dem Stichwort „Verkehrspolitik“ nicht etwa um schwulen Sex im Englischen Garten, sondern um den Ausbau von Radwegen und des U- Bahnnetzes. „In vielen stadtpolitischen Fragen haben wir kaum Unterschiede zu den Grünen“, gibt Thomas Niederbühl zu. Einzigartig war jedoch der lesbisch-schwule Blickwinkel – von der geforderten Straßenumbenennung nach homosexuellen Persönlichkeiten bis hin zu einer vorurteilsfreien Sexualerziehung, die bereits im Kindergarten beginnen soll. Kleines Trostpflaster für die rosa PolitikerInnen: Sie werden sich immerhin in einigen Bezirksausschüssen um die Belange von Lesben und Schwulen kümmern können. In Münchens Stadtteilvertretungen hat die Rosa Liste bereits in den vergangenen Jahren bewiesen, daß sich lesbisch-schwule Politik selbst auf kleinster lokaler Ebene machen läßt. So protestierte sie unter anderem gegen die Schließung von öffentlichen Toiletten, die als schwule Sex-Treffpunkte bekannt waren, und setzte sich für längere Öffnungszeiten von Szenekneipen ein. Durch das Auftreten der Rosa Liste haben nicht zuletzt homosexuelle Politiker der Sozialdemokraten Mut geschöpft und sich selbst geoutet.

Am Montag wollen die Mitglieder Rosa Liste in München zu einer „Krisensitzung“ zusammenkommen, um über das weitere Schicksal ihrer einzigartigen WählerInnenvereinigung zu beraten. Der gescheiterte Spitzenkandidat Thomas Niederbühl glaubt nicht, daß er in zwanzig Monaten ein drittes Mal zur Stadtratswahl antreten wird.

Im Falle eines Scheiterns hatte er bereits vor dem Urnengang angekündigt, das ehrgeizige Projekt begraben zu wollen.

Ganz anders ist die Stimmung bei den lesbisch-schwulen NachwuchspolitikerInnen in Stuttgart, obwohl dort auf die Rosa Lila Liste nur 0,7 Prozent der WählerInnenstimmen fiel. „Das ist aus dem Stand ein gutes Ergebnis“, meint Spitzenkandidat Joachim Stein. In fünf Jahren will der inoffizielle Chef der örtlichen Homo-Gruppe „auf jeden Fall“ erneut antreten, schließlich gebe es in der baden-württembergischen Landeshauptstadt lesben- und schwulenpolitisch noch viel zu tun – zuletzt hatte der konservative Oberbürgermeister Manfred Rommel (CDU) gar ein Grußwort zum Christopher-Street-Day verweigert.

Besonders ermutigend empfindet Joachim Stein die „Hochburg“ der Rosa Lila Liste in Stuttgart- Stadtmitte: Dort stimmten über zwei Prozent der WählerInnen lesbisch-schwul.