■ Gegen den Mainstream der Schwulen und Lesben
: Immer auf der Siegerlinie?

„Wenn meine Mutter in der taz entdeckt, daß da was drin ist, weint sie wieder.“ Sagt der kleine Kollege bei der Konferenz. Damit setzt er sich natürlich ins Unrecht gegenüber dem Mainstream der Schwulen und Lesben, der besagt : Wer sich gegen Diskriminierung der Homosexuellen einsetzt ist gesund, strahlend, schlagfertig, bitte nicht zu dick oder zu dünn, bitte nicht mutlos oder unentschieden. Zynismus als Überlebensattitüde, immer auf der Siegerlinie, darin sind wir wirklich Kinder des Kapitalismus und – der Männerkultur. In diesem Punkt haben wir Lesben was Falsches gelernt von der Schwulenbewegung: Wir dürfen nicht verdruckst sein oder traurig über das „andere“ Leben, das wir führen, wir dürfen nicht einmal szene-öffentlich darüber nachdenken, was uns eigentlich von den „Normalos“ so unterscheidet, daß wir das andere Geschlecht nicht lieben können.

Wer zur „Szene“ gehören will, darf nur stolz sein auf sein Lesbisch- oder Schwulsein und allen ZweiflerInnen mit souveränem Stolz begegnen. Nicht zu vergessen: die unangemessene Überbetonung der Sexualität, die eine Erfindung, Abwehrhaltung und falsche Gewichtung der Heterowelt ist und die wir brav und auch ein bißchen geschmeichelt nicht widerlegen. Der Alltag aber, den aus Scham wir zu schützen trachten vor allgemeinem Blick, den wir aber um unser selbst willen nicht verleugnen dürften, ist auch: die Mutter, die um den Sohn weint, weil sie Angst hat, er wird an Aids erkranken, die Lesben, die sich über eine Anzeige kennenlernen und eine Beziehung eingehen, in der Provinz, wo sie niemand anderen kennen – eine Beziehung, die nicht glücklich ist, aber die beste, die zu kriegen war. Der schwule Arzt und der schwule Pfadfinderleiter, die sich verstecken und männlicher auftreten als jeder Hetero- und der kV (der „kesse Vater“), die so manifest „männlich“ auftretende Lesbe, die seit Jahren mit niemandem mehr geschlafen hat und am Abend in der Szene am Tresen hängt mit diesem bedürftigen Blick und auf jede reinfällt, die nur ein Lächeln für sie übrig hat. Wir sollten keine neue Elendsberichterstattung eröffnen, aber laßt uns doch ein bißchen aufrichtiger sein und neben den Metropolen-Glämmer-Glimmer-Lesben und -Schwulen auch die Nebenstraßen anschauen.

Zynismus gegenüber den schwärzeren Seiten des Lebens mag eine Selbsttröstungsstrategie sein, die angemessene Haltung einer politischen Bewegung oder aber einer Zeitung ist sie sicher nicht. Und, ganz unter uns, sich als Glücklicher von den Unglücklichen zu distanzieren, führt in eine vielleicht splendide, aber kalte Isolation. Zum Tag gehört die Nacht. Sabine Zurmühl