Kaum anders als bei Tante Lotte

Beziehung und Verbrechen: In Hans van Guldens Berlin-Krimis spielt ein schwules Paar die Hauptrolle  ■ Von Micha Schulze

Auch als bewegter Homo muß man immer wieder klarstellen, daß Schwule gelegentlich auch andere Gedanken haben als die gleichgeschlechtliche Liebe und Emanzipation. Wenngleich sich das Homosein weder an der Käsetheke noch beim U-Bahn-Fahren ausknipsen läßt, was ebenso für die abendliche Bettlektüre gilt. Da mangelt es einfach an Büchern, in denen Homos die Hauptrolle spielen, die ihre Abenteuer in der Heteroszene erleben. Zu diesen Raritäten hat Hans van Gulden gleich zwei Bände beigesteuert: die Berlin-Krimis „Schöne Bürger“ und „Amok und Koma“, beides Ostprodukte der edition monade.

„Schöne Bürger“, van Guldens Erstling, ist freilich nichts für Liebhaber von klassischen Detektivgeschichten. Wer bis Drei zählen kann, weiß schon nach den ersten Seiten, wer der Mörder ist. Und dennoch, bei der Story rund um eine Nervenklinik kommt keineswegs Langeweile auf. Da erhält der schwule Nichtsnutz Martin Roth den Auftrag, die Unschuld der Industriellen Sophie von Damm zu beweisen, die wegen Mordes an ihrem Sohn Justus in der Klapsmühle sitzt. Schwung in die Story bringt der Fakt, daß es sich bei dem Toten um einen Intimfeind und Ex-Lover des Freizeitdetektivs Martin Roth handelt.

„Schöne Bürger“ lebt – und das ist das Konzept der „Berlin Crime“-Reihe der edition monade – von den stimmigen Milieuschilderungen. Mit trockenem Humor gibt Hans van Gulden einen überaus köstlichen wie realistischen Einblick in die Welt der Schöneberger Bürger-Homos, die sich nur in sexuellen Fragen vom Kaffeekränzchen bei Tante Lotte unterscheidet. Da geht es um das ewige Beziehungsleid zwischen Martin und seinem Lebensabschnittsgefährten Nigel. Martin hat nämlich ein Faible für One-night-stands, besonders wenn es sich dabei um junge, unbehaarte Halbmarokkaner handelt. Leser mit Langzeitgedächtnis – der Roman erschien bereits im Frühjahr 1993 – können sich an politischen Anspielungen erfreuen. Zum Beispiel, wenn von einem Anwalt Plogmann die Rede ist, der „bei einer Verhandlung über zwei bedepperte Jungs, die einen flüchtenden Ostzonenheini abgeknallt hatten, die Vorladung von Gorbatschow und Reagan verlangt hatte“.

Weniger aktuell, dafür um so schwuler, geht's in Hans van Guldens zweitem Krimi „Amok und Koma“ zu. Nun erlebt auch Martins Lover Nigel sein promiskes Coming-out, beginnt es zu genießen, wenn im schwulen Schöneberger Ehebett drei statt zwei Männer liegen. Der flotte Dreier wird zum roten Faden zwischen Mord, Entführung und Erpressung. Ein anonymer Anrufer hat dem Freizeitjournalisten Roth nämlich sensationelle Dokumente aus dem Judenghetto Litzmannstadt versprochen, wenn er zu einem konspirativen Treffen im Hilton bereit ist. Doch während Martin in der Hotellobby ausharrt, liegt der Umschlag mit den Dokumenten bereits in seinem Hausbriefkasten – und eine Leiche im Kalkwerk Rüdersdorf, die Roths Adresse in der Manteltasche hat.

Eine hitzige Agentenstory nimmt ihren Lauf, in der weder die Schlapphüte vom BND fehlen dürfen noch irakische Terroristen oder der israelische Geheimdienst Mossad. Alle haben sich auf die Jagd nach den „sensationellen“ Dokumenten begeben, von denen es, wie sich leider herausstellt, zwei verschiedene Fassungen gibt. Aus Versehen wird auch noch Pieter entführt, ein geiler Punker, den Martin mal abgeschleppt hat und der nun mit Nigel verwechselt wird. Nach einigen weiteren Verwicklungen scheint sich die ganze Aufregung schließlich in heiße Luft aufzulösen.

„Amok und Koma“ liest sich rasant und amüsant, doch in der um Authentizität bemühten „Berlin- Crime“-Reihe ist der in jeder Hinsicht phantastische Krimi nicht besonders gut aufgehoben. Mit Blick auf den erotisch-roten Faden hat der (schwule) Verleger Oliver Schwarzkopf offensichtlich beide Augen zugedrückt. In den anderen Bänden der Krimireihe geht's schließlich strikt hetero zu.

Hans van Gulden: „Schöne Bürger“ und „Amok und Koma“, edition monade, Berlin, 14,80 DM