Vatersuche zwischen St. Pauli und Brokdorf

■ Udo Aschenbeck führt in seinem Roman „Woll“ in die Szene der späten 70er Jahre

Hamburg im Jahr 1976. Die links alternative Wohngemeinschaft in der Eimsbütteler Meißnerstraße befindet sich gerade in einer Krise, als Woll auftaucht. Woll ist ein jugendlicher Springinsfeld, bei dem man nie sicher sein kann, ob er gerade die Wahrheit sagt oder lügt. Gustav ist viel älter, ruhiger und überlegter als Woll. Doch kaum haben sie sich das erste Mal gesehen, haben sich die beiden auch schon gefunden.

Die ungleiche Liebesgeschichte von Woll und Gustav ist der Handlungsfaden in Udo Aschenbecks neuem Roman Woll. Aber das Buch ist auch eine Hamburg-Geschichte und ein Stimmungsbericht der autonomen Szene der späten 70er Jahre. So berichtet der Autor unter anderem von der Aktion um die erstmalige Besetzung des Bauplatzes für das Kernkraftwerk Brokdorf, eine autobiographische Erinnerung wie auch viele andere Szenen des Romans – etwa die Sehnsucht nach Afrika, die Reisen nach Ägypten und Griechenland und die Pflege der Mutter im oldenburgischen Dötlingen. Straßenszenarien aus St. Pauli und dem Schanzenviertel werden detailverliebt geschildert, eine Freude für alle, die es kennen, aber manchmal ermüdend für Außenstehende, die nicht gerade darauf erpicht sind, die beschriebenen Orte etwa am Fischmarkt touristisch zu besuchen.

Im Zentrum der Handlung steht Wolls Suche nach einem Vaterersatz, nicht nur in seiner ungleichen Beziehung zu Gustav, sondern auch in der Erfindung unzähliger Wunschpapis. Am Ende löst sich Gustav von Woll, der ihn ausgenutzt und bestohlen hat. Die Lösung beschreibt auch einen Abschied aus den sorglos geschilderten 70er Jahren in die verhärtet erlebten 80er. Gustav wird vom mittellosen WG-Bewohner zum Inhaber eines florierenden Futonladens in Frankfurt. Die Geschichte der beiden ist aus Gustavs Sicht zu Ende, und an dieser Stelle wechselt auch der Ich-Erzähler. Das letzte Viertel ist „Wolls Bericht“. Aschenbeck hätte seinen Roman besser vorher beenden sollen, denn der Erzählerwechsel wird stilistisch nicht aufgefangen und die bis dahin runde Geschichte verliert an dieser Stelle den zeitlichen und inhaltlichen Handlungsfaden. Diese Überspitzung des Gefühls von Verhärtung und Zerfall wirkt so, als habe der Autor alle Fragmente, die er in der Haupterzählung nicht unterbringen konnte, in diesen Schluß gepackt. Das Gefühl von Sehnsucht, das den Roman am Anfang trägt, löst sich einfach auf. Leserinnen und Leser dürften das Buch zufriedener aus der Hand legen, wenn sie auf Seite 154 einfach aufhören.

Werner Hinzpeter

Udo Aschenbeck: Woll, MännerschwarmSkript Hamburg 1994, 200 Seiten, 28 Mark