■ DGB-Reform und die „Frauenfrage“
: Die Zentralachse

Historisch gesehen zeichnet sich das Verhältnis der Gewerkschaften zu Frauen durch Paternalismus aus. Gegenüber dem Kapital wurde die Frau immer als Privatbesitz des Mannes ausgewiesen. Die vor allem ökonomisch erzwungene Erwerbstätigkeit der Frau schützte man insoweit auch sozialpolitisch, als damit deren Gebär- und Arbeitsfähigkeit zu Hause nicht gefährdet werden sollte. Arbeitsteilung und Hierarchie wurden weder im Beruf noch in der Familie in Frage gestellt. Für gleichen Lohn mußten die Arbeiterinnen schon selber kämpfen. Gewerkschaften haben damit unterderhand bestätigt, was sie immer abschaffen wollten: die Ungleichheit der Lohnarbeit im Kapitalismus und die Ungleichheit der Menschen, etwa wegen des Geschlechts. Paradoxerweise unterhöhlt dies heute die Gewerkschaften selbst.

Wer das ändern will, muß die Weichen neu stellen, gerade jetzt, bei der anstehenden DGB-Reform. Der Vorgang wäre allgemeinpolitischer Natur: Soziale Spaltungen müssen aus dem Kapitalismus heraus zu einem Miteinander von gleichberechtigten und voneinander abhängigen Verschiedenheiten transformiert werden. Das würde einer anderen Philosophie als der naturwissenschaftlich begründeten, kontrollierten Teilung und Aufteilung der (Lebens-)Welt folgen, die in Zerstörung mündet. Den Gewerkschaften als Basisorganisation, gar soziale Bewegung derer, die von ihrer Arbeit Lohn leben, über den die Verteilung sozialer Lebenschancen erfolgt, käme hierbei eine zentrale Rolle zu. Wirtschaft und Gesellschaft brauchen ja nicht nur privat und öffentlich die Arbeitskraft der Frauen. Sie müssen, damit sie künftig funktionieren können, auch die mit der Geschlechterspaltung und der technologischen Revolution abgespaltenen Teile von Leben – „Schwache“ per se – in die Gesellschaft zurückholen.

Der „Abbau des Patriarchats“ ist folglich nicht nur eine Frage der quantitativen Verteilung von Arbeit, Geld und Macht. Emanzipation der Frau impliziert eine qualitativ andere Gesellschaft. Im Zuge dessen wandeln sich Arbeit und Leben insgesamt. Das erfordert einen neuen politischen Ansatz. Von der nachholenden Schutz- und Sozialpolitik sowie der abgefederten nachziehenden Integration von Frauen in die männlich bestimmte Erwerbsarbeit muß zu Konzepten übergegangen werden, welche die patriarchalen Strukturen von Arbeit und Familie, Gesellschaft und Politik aufheben und alle Arbeits- und Lebenszusammenhänge von Frauen und Männern neu gestalten. Damit wäre die Behandlung der „Frauenfrage“ als „soziale Frage“ einer „Sondergruppe“ beendet. Das gilt allemal, da heute und in absehbarer Zeit keine Zuwächse mehr zu verteilen sind und es ans Eingemachte geht. Eine emanzipatorische Geschlechtergleichstellungspolitik ist so sich komplementär ergänzende Frauen- und Männerpolitik. Sie schließt allgemein eine Umkehr der Prioritäten ein: Nicht nur deren Interessen würden verteidigt, die noch etwas haben, sondern auch die jener einbezogen, die bereits ohne alles dastehen. Von der Spaltung zwischen Klassen würde auf die Spaltung zwischen Geschlechtern und Rassen geschaut.

Das Problem ist ein eminent innergewerkschaftliches. Frauen und Männer sind ungleiche Mitglieder. Gewerkschaften sind historisch Organisationen zum Schutz der Lohnarbeit, zum „Ausgleich“ des ungleichen und ungerechten Verhältnisses zwischen Kapitalbesitzern und Lohnarbeitsverkäufern in Gestalt männlicher Familienernährer. Diese sind es bekanntlich nicht ohne die privaten Haus- und Familienarbeiterinnen. Für Frauen resultiert daraus ein doppeltes Problem. Sie haben nicht nur „zwei Schichten“. Sie haben sie auch noch in zwei „zweitrangigen Jobs“, einem un- und einem unterbezahlten. Das macht sie – gegenüber Ehemann und Arbeitgeber bzw. Staat – besonders abhängig und auf dem Arbeitsmarkt nur „begrenzt verwertbar“. In Gestalt des „Familienlohnes“ und des Extragewinns durch minderbewerteten „Zuverdienst“ vereinnahmen Männer und Arbeitgeber, was Frauen zustünde. Eine Seite ihrer Existenz verbindet Frauen zu einem Teil mit Männern, während eine andere Seite dem Interesse von Männern zuwiderläuft. Weil die Berührungsfläche einen unterschiedlichen Kontext für beide hat, bedeutet sie für beide auch nicht das gleiche. Frauen sind in der gewerkschaftlichen Hierarchie quer zu allen sonstigen Rangunterschieden, die es auch unter Männern gibt, die „Untergeordneten“, die Schlechtergestellten. Die Geschlechterspaltung bildet eine Zentralachse aller anderen sozialen Spaltungen. Frauen und Männer haben unterschiedliche Interessen – so lange, bis der Unterschied in der Überwindung des „teile und herrsche!“ und der „Politik der Stärke“ aufgehoben wird. Dieser vom Inneren ins Äußere der Gewerkschaften reichende Geschlechterkonflikt ist endlich offenzulegen und anzuerkennen. Das Problem ist weder zu lösen, indem von Frauen erkämpfte eigenständige Rechte und Strukturen zurückgenommen werde,n noch dadurch, daß diese zu autonomen Spielwiesen oder vermeintlich heilen Reservaten degradiert werden. Eigene Rechte und Selbstverantwortung der Frauen wären vielmehr zu stärken und die Privilegien von Männern abzubauen, um allgemein Selbstbestimmung und Verantwortung aller Mitglieder im Kontext von Demokratie zu verankern. Das käme einer Revolutionierung innergewerkschaftlicher Strukturen gleich.

Da es Idealfälle nicht gibt, würde einstweilen die Einrichtung einer Vermittlungsinstanz weiterhelfen. Ein paritätischer Geschlechterrat des DGB könnte den Konflikt fortwährend verhandeln und in beide Ebenen – die eigenständigen Frauenstrukturen und die Gesamtorganisation – zurückvermitteln. Damit wäre ein Raum der Erneuerung geschaffen. Und sei es, daß die „Ergebnisse“ allein darin bestünden, die Konflikte offenzulegen. Ferner könnte eine paritätisch besetzte Kommission mit ExpertInnen von innerhalb und außerhalb Anregungen für das neue DGB-Grundsatzprogramm unter dem Aspekt der Überwindung der Geschlechterspaltung formulieren. Diese Arbeit könnte durch offene Diskussionsforen gekrönt werden. Endlich würde ans Licht kommen, daß, wo immer die Frau zur Diskussion steht, es um den Geschlechterkampf geht und daß die sogenannte „Frauenfrage“ immer auf die „Männerfrage“ verweist.

1993/94 war das Jahr der härtesten sozialen Konfrontation seit langem. Dennoch gab es auch neue BürgerInnen-Gegenwehr und Initiativen für eine alternative, sozial integrative Politik. Die Bevölkerung ist in höchstem Maß unzufrieden mit der Regierungs-, aber auch der Oppositionspolitik. Manches spricht für eine deutlichere Polarisierung zwischen „Altem“ und „Neuem“. Um so bedeutender ist es, sich jetzt zu einer breiten und kreativen Reformbewegung zu sammeln. Nur der Mut zu „großen Schritten“ – exemplarisch mit „der Frauenfrage“ – eröffnet die Chance dazu. Mechtild Jansen

Publizistin, lebt in Köln