Ostdeutscher Protestantismus

In Farbe, aber keineswegs ganz entspannt im Bunt und Jetzt: Jens Beckers Regiedebüt „Adamski“  ■ Von Dietmar Hochmuth

Es gibt Filme oder, genauer gesagt, Namen, die auf Preise abonniert sind (das war in der DDR übrigens ganz genauso), und solche, die übersehen werden. Wenigstens pünktlich zur diesjährigen Bundesfilmpreisverleihung kommt ein Film mit keiner Handvoll Kopien ins Kino (und damit wahrscheinlich kaum in die Programmierung), der diese kleine Ermunterung (der Nominierung) durchaus verdient hätte. Nicht nur, weil es sich um ein Debüt handelt, und schon gar nicht, weil er aus dem Osten kommt. Diese Ermäßigung braucht er gar nicht – ein Bonus der Wahrnehmung hingegen wäre angebracht.

Dieser Film hat ein mieses Plakat, leider: junge Frau mit aufgerissenen Augen bedeckt eiligst mit einem Stück Textil ihren Körper. Wenn also ein zufällig hineingeschneiter Zuschauer sich bei Ansicht dieses Nicht-Erotikons verkohlt fühlt, hat sich das derjenige Marktstratege zuzuschreiben, der dieses Plakat abgesegnet hat. Der Film hat obendrein einen einfallslosen Titel, der genauso vermeintlich originell-nichtssagend ist wie seinerzeit der Modename Kaminski, nach dem gleich ein ganzes Radioprogramm für Jugendliche getauft wurde. „Adamski“ heißt der Film – wie sein Held, der, so liest sich die Absicht, hinweisen will auf den „ostischen Menschen“ (den zwischen Oder und Elbe). Der polnische Name ist dafür kein schlechtes Mittel der Übertreibung, nur eben überhaupt kein Filmtitel.

Die Geschichte „Kleiner Mann in neuer Welt – was nun?“ wird hier um das Dreieck Kaufhausdiebin–Hehler/Lover–Detektiv erzählt, der am Ende den Lover vergrault und ersetzt. Adamski, den die neue Zeit in seiner Betonwüste beließ, mit Arbeitslosigkeit und einem Gerauchtwagen beschenkte, hat nun endlich Arbeit gefunden: Er ist vom DDR-Knastwärter zum privaten Wachschutz gewechselt. Die Diebin war Näherin in einer Firma, die es nicht mehr gibt, und nur der dem Rivalen (aus dem Knast – so klein war die DDR) noch gut bekannte Gauner scheint der alte geblieben.

Hingegen ist die Welt ringsum längst nicht mehr die, die sie einmal war; sie zeigt sich feindselig, kalt und eher unfreiwillig komisch. Da hält der Ostler sein Motto gegen: „Lieber fettige Haare als ein Schleimscheißer im Zweireiher!“ Der Schleimscheißer kommt nämlich aus dem Westen und bringt sein Raster von Gut und Böse, seine Quoten, wer im Kaufhaus zu schnappen ist und wer nicht, in die umbrochene Arbeitswelt des angstschweißgeplagten Ostlers ein.

Die Geschichte von der Kaufhausdiebin und dem sie erst dienstbeflissen umspinnenden, dann privat umgarnenden Detektiv ist fast so alt wie Geschichtenkino. Neu und bemerkenswert dagegen scheint die Diktion eines vehementen „ostdeutschen Protestantismus“, der die großenteils immer noch intakte Aura der Ostler- Zwangsbeglückung seit der vermeintlichen Vereinigung zerreißt. Dabei verfällt er beileibe nicht in vordergründige, womöglich blindwütige Nostalgie, sondern er geht einfach vom gelebten Leben aus, das sich der Etikettierung „Gefängnis“, „Diktatur“ zu verweigern sucht.

So beginnt auch der Film augenzwinkernd mit dem Abschwenken von Urkunden aus einer Vergangenheit im Fanfarenzug der FDJ, begleitet das Entnehmen eines heißen Kaffeepotts aus der Mikrowelle. Es ist der Blick einer Generation, für die eine 1989 abgerissene Vergangenheit nicht gleich in die Ferne des Bauernkrieges gerückt wurde.

Die Dinge, die der Film zeigt, die Zustände im Osten Deutschlands, sind immer noch nicht anders als mit dem Namen einer Farbe zu bezeichnen: grau, sozusagen in Polemik auf die zwei senilen Beschwörungsformeln des sogenannten Vereinigungsprozesses – „blühende Landschaften“ und „Jetzt wächst zusammen, was zusammengehört“ –, die wie im Programmproporz von den Häuptlingen der beiden Volksparteien repetiert werden. Jens Becker drehte seinen Film in Farbe, und er geriet dennoch nicht bunt und nicht verlogen. Die Differenz zwischen der alten inneren Farbe grau und der neuen bunten Fassade – dieser Differenz entströmt der eigentliche Schauwert dieses Films, der andernfalls nur ein Lustspiel, gar ein Komödchen wäre.

Jens Becker, der synchron mit dem Ende der DDR in Babelsberg an der HFF sein Studium zu Ende brachte, entsendet im fünften Jahr „danach“ seinen Spielfilmerstling ins Kino wie in ein Vakuum: die Verbiegungen beim Anklopfen in den Chefetagen von Defa und DDR-Fernsehen blieben ihm erspart – Gratulation; die staatlich (per Plan) geförderte Öffentlichkeit eines Debüts jedoch, wie sie ihm im Osten zuteil geworden wäre, allerdings auch – Beileid. Nun muß er das Beste daraus machen.

Der Film ist gedreht im Berliner Stadtbezirk Mitte, der längst noch nicht wieder Berlins Mitte ist – wie auch? Die Aufnahmen vom Scheunenviertel, von den alten Ostklos im Kaufhof am Alex (gedreht in Adlershof, auf dem verödeten Gelände des DDR-Fernsehens) werden bald in Deutschland- einig-Lego-Land den Wert eines Dokuments erlangen. Die Authentizität, mehr noch: die mentale Stimmigkeit des Films geht aber in erster Linie auf das Konto seiner Schauspieler. Becker hat nicht, wie manche seiner KollegInnen vor ihm, versucht, den kulturellen Beitritt zu zelebrieren. Hier spielt Günter Lamprecht keinen Ostproleten und Eva Maria Hagen keine LPG-Bäuerin, die singend Gänse rupft. Becker besetzt stur nach Biographie, in einem Fall allerdings dreht er den Spieß um: Der Ostler Frank Lienert liefert ein seitenverkehrtes Kabinettstück ab – als westimportierter Schreibtischtäter der Kaufhaus- Detektei. Ein Fingerzeig auf die Austauschbarkeit deutsch-deutscher Biographien und, pardon, Visagen.

Adamski wird dargestellt – und das ist vielleicht ein professioneller Grund für die mentale Authentizität, die dieser Film atmet – von einem Nicht-Schauspieler: Steffen Schult, verklemmt, verbogen und doch nie geduckt, im Hauptberuf Regieassistent am Theater. Entdeckt hatte ihn Gerd Kroske für seine Episode in „Neues Deutschland“, wo er im Keller der Leipziger Oper mit der Stromabschaltung zu Gange ist, während Kohl auf dem Opernplatz wahlkämpft.

Vom Temperament diametral entgegengesetzt gepolt, komplettiert Nadja Engel in ihrer ersten Hauptrolle als das ganze Gegenteil dieses „ungleiche Paar von Bestand“, wobei Becker (der auch das Buch schrieb) bei der Gestaltung ihrer Rolle leider nicht immer so souverän wirkt wie im Umgang mit allen anderen Darstellern.

Im deutsch-deutschen Einigungsprozeß ist so manches Teilprogramm ausgefallen, zum Beispiel die Integration im Bereich des Films. Heute, 1994, muß konstatiert werden, daß der Osten nun zwar nach dem Weststandard mit Filmbüros durchstrukturiert ist, jedoch hat sich niemand von den FilmemacherInnen des Ostens so durchsetzen können, daß man sagen könnte, er (oder, noch besser, seine Arbeit) würde „bundesweit“ über den Wert des Exotischen hinaus bemerkt.

Genau dieser Situation tritt nun Jens Becker entgegen, und ich befürchte, es wird ihm nicht besser ergehen. Wer sich allerdings aufrafft, seinen „Adamski“ anzusehen, wird keinen Geniestreich mit fliegenden Engeln von der Schaubühne und einem Denken mimenden Gorbatschow erleben, er könnte aber Spaß haben an einer unspektakulären Sicht auf diese Zeit, wie sie dank der Westzentrierung der Medien kaum vorkommt. Und er könnte mit seinem Kinogang zugleich einen kleinen, wenn auch symbolischen Beitrag leisten zur Begradigung einer bösen Ost- West-Schieflage der gegenseitigen Zurkenntnisnahme, die auf die Dauer nicht ungestraft fortbestehen und beispielsweise im Osten hingenommen wird.

Keine Angst: Beckers sympathischer Film beißt nicht – das allerdings ist womöglich sein gravierendster Mangel.

Jens Becker: „Adamski“. Buch: Jens Becker, Kamera: Alke Fricke, Kostüme: Gertrud Wahl, Musik: Rainer Böhm. Mit: Steffen Schult, Nadja Engel, Axel Werner, Petra- Maria Cammin, Deborah Kaufmann. Deutschland 1994, 92 Minuten