Wo Bauern hängen, bleiben Könige stehen

Disziplinarmaßnahmen gegen Polizeipräsidenten im Magdeburger Landtag mit knapper Mehrheit abgelehnt / Weitere Forderungen nach Entlassung Stockmanns  ■ Aus Magdeburg Eberhard Löblich

Auf ihre sonst komfortable Landtagsmehrheit, die durch die FDP gewährleistet wird, konnte sich die CDU von Sachsen-Anhalt gestern nicht verlassen. Als es zur Abstimmung über die Oppositionsforderung nach Disziplinarmaßnahmen gegen Magdeburgs Polizeipräsidenten Antonius Stockmann kam, mußten die Christdemokraten mit einem Ausscheren ihres liberalen Koalitionspartners rechnen. Schließlich war es der innenpolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Wolfgang Buchholz, der zuvor selbst ziemlich unverhohlen die Entlassung des Polizeipräsidenten gefordert hatte.

Als es dann zum Schwur – zur namentlichen Abstimmung – kam, kniffen die FDP-Angeordneten den Schwanz ein. Sie enthielten sich größtenteils der Stimme. Andere Liberale beugten sich der Koalitionsdisziplin. Sie halfen der CDU, den Oppositionsantrag zurückzuweisen. Knapp wurde es trotzdem: Am Ende wurden mit nur einer Stimme Mehrheit die geforderten Disziplinarmaßnahmen abgelehnt.

Dabei hatte Sachsen-Anhalts Innenminister Remmers (CDU) zuvor in Halle selber anschaulich vorgemacht, wie man's eigentlich richtig machen sollte. Dort hatte am Pfingstsonntag eine Gruppe von Rechtsradikalen einen 27jährigen Asylbewerber aus dem Tschad auf offener Straße krankenhausreif geschlagen und auch noch auf eine 23jährige Deutsche eingeprügelt, die dem bedrängten Flüchtling zu Hilfe eilte. Augenzeugen wiesen im Anschluß an den Überfall die Polizei darauf hin, daß die Täter noch vor Ort seien.

Den Einsatzführer interessierte das weniger, er ließ die Rechtsradikalen laufen. Wie in Magdeburg „vergaß“ es die Einsatzleitung der Polizei auch in Halle, die Staatsanwaltschaft zu informieren. Remmers entband den Einsatzführer von seinem Amt und leitete ein disziplinarisches Ermittlungsverfahren gegen ihn ein. „Warum nicht dieselbe Konsequenz gegen Stockmann“, fragte sich der bündnisgrüne Fraktionschef im Magdeburger Landtag, Tschiche, in einer aktuellen Debatte zu den Himmelfahrtsausschreitungen gestern verwundert. „Auch wenn es nur der fehlende Videotrupp und die erst ganz unterbliebene und dann sehr fehlerhafte Benachrichtigung der Staatsanwaltschaft ist, das reicht doch vollkommen für den Rausschmiß“, wetterte Tschiche, „was soll der Stockmann denn noch für Blödsinn machen, bevor er endlich fliegt?“

Die unterschiedliche Behandlung der verantwortlichen Beamten, so Tschiche, sei aber typisch für die Politik der Landesregierung. „Den Bauern in Halle opfern und den König in Magdeburg stehen lassen, so kann man keine vernünftige und glaubhafte Politik machen.“ Aber genau so will Remmers es offenbar weitermachen. „Man muß die Vorgänge am Himmelfahrtstag genau überprüfen und analysieren“, sagte der Minister. Und dann sei zu überprüfen, wer die Verantwortung für den verkorksten Polizeieinsatz übernehmen und die Konsequenzen tragen müsse. Das wären: der Polizeipräsident, der sich trotz der Warnung des Verfassungsschutzes vor bevorstehenden Ausschreitungen in den Kurzurlaub verabschiedet hatte, oder, so Remmers, „der diensthabende Beamte, der an diesem Abend die Polizeidirektion leitete“. Ministerpräsident Christoph Bergner fand es schließlich völlig unmöglich, daß in den Chor der Rücktrittsforderungen gegenüber Remmers auch SPD-Bundesgeschäftsführer Günter Verheugen eingestimmt hat. „Vielleicht bemühen Sie künftig die Sozialistische Internationale, wenn Sie glauben, Hilfe von außen zu brauchen“, sagte er in Richtung der SPD-Fraktion.

Er versuchte gleichzeitig, die Kritik an dem schiefgelaufenen Polizeieinsatz und die Verharmlosung der polizeilichen Fehler zum Wahlkampfthema herunterzureden. Tatsächlich blieben die Sozialdemokraten in ihrer Kritik an dem Polizeieinsatz moderat und sachlich, auch wenn ihr innenpolitischer Sprecher Püchel Remmers erneut zum Rücktritt aufforderte. Anschließend ging man wieder zur Tagesordnung über.

Die Regierungsfraktionen versuchen nach wie vor, nach dem Sympathieeinbruch, der sogenannten „Gehälteraffäre“ geschuldet, Punkte zu machen. Die Opposition im Landtag hat sich offenbar vom Geißeltierchen-Vergleich des neuen Bundespräsidenten Roman Herzog inspirieren lassen. Sie wartet, bis etwas vorbeikommt, um dann zuzuschnappen. Dem Innen- und Justizminister Remmers will die Opposition auch gerne eine Gnadenfrist bis zum erhofften Regierungswechsel einräumen. „Mir geht es nicht um die Abberufung des Ministers, was soll das Kaspertheater so kurz vor Ende der Wahlperiode“, fand Hans-Jochen Tschiche. „Mir geht es darum, daß die verantwortlichen Polizeiführungskräfte wissen, daß sie für Fehler zur Verantwortung gezogen werden.“