Sexuelle Übergriffe als Grund für Blutbad

■ Nichte beschuldigt ihren Onkel des Mißbrauchs / Onkel warf Handgranate in Kreuzberger Wohnung / Zwei Tote

Bei einer blutigen Auseinandersetzung in einer türkischen Familie sind am Montag abend zwei Männer umgekommen und fünf Angehörige zum Teil schwer verletzt worden. Hintergrund des Familiendramas in der Kreuzberger Manteuffelstraße sei ein Jahre zurückliegender sexueller Mißbrauch, teilte Polizeipräsident Hagen Saberschinksy gestern auf einer Pressekonferenz mit.

Die 16jährige Eylem Y., die nach Angaben eines Nachbarn seit fast sechs Monaten mit dem zehn Jahre älteren Ali Y. verheiratet ist, hatte ihren Schwiegereltern und ihrem Ehemann von sexuellen Übergriffen ihres Onkels Orhan I. erzählt. Dies teilte sie auch telefonisch dem in Duisburg lebenden Onkel Orhan I. (27) mit, der daraufhin die Familie besuchen wollte. Bei dem Treffen in der Wohnung der Eltern kam es zu einem Streit zwischen dem Onkel und Eylems Ehemann, dessen 46jähriger Mutter Nadriye und dem 50jährigen Vater Memet. Orhan I. zog daraufhin eine Splitterhandgranate hervor und warf sie in Richtung der drei Verwandten. Ali war auf der Stelle tot, seine Mutter wurde lebensgefährlich verletzt. Sein Vater erlag noch am gleichen Abend seinen schweren Verletzungen im Krankenhaus. Die Detonation, die um 18.15 Uhr erfolgte, sprengte die zwei Fensterscheiben regelrecht zur Straße hinaus. Im Nebenraum warteten die 16jährige Eylem, zwei Schwestern Alis und ein Freund auf den Ausgang der Streitigkeiten. Als sie den Lärm hörten, rannten sie in das Zimmer und wurden dort von Orhan mit einer Pistole erwartet. Der Freund wurde von einem der vier Schüsse in die Schulter getroffen. Die 25jährige Schwester Alis konnte ein Messer ergreifen und Orhan so verletzen, daß er kampfunfähig wurde. Er befindet sich im Krankenhaus und sollte noch am Dienstag „dem Haftrichter symbolisch vorgeführt“ werden. Die 16jährige Eylem erlitt einen schweren Schock und befindet sich wie die anderen Verletzten noch im Krankenhaus.

Die Manteuffelstraße wirkte gestern für Passanten schon fast wieder alltäglich, türkische Jungen bolzten am Spielplatz mit einem Ball herum. Die Scherben der Fensterscheiben auf der Straße waren nur teilweise weggekehrt. Auf der Haustreppe, deren Geländer im ersten Stock notdürftig repariert ist, lag noch der abgesprungene Putz. Der Döner-Imbiß im Erdgeschoß des Nachbarhauses ist geschlossen, ein Zettel unter der Speisekarte nennt einen Trauerfall als Grund. „Der Ali war hier überall beliebt“, weiß der junge Türke im Obst- und Gemüseladen, „jeden Morgen hat er die Leute im Imbiß besucht.“ Der Verkäufer hat die Detonation selbst mitbekommen, das ganze Haus habe gebebt. „Zuerst dachte ich, einer der Fernseher, die Ali in seiner Wohnung repariert, ist explodiert“, erinnert er sich, „aber dann fielen die Schüsse, und später lief eine Frau blutend auf die Straße.“ Die Ermittlungen der Polizei dauern an. Elke Eckert