Wand und Boden
: Festhalten, was beweglich ist

■ Kunst in Berlin jetzt: Simone Mangos, Peter Josef Abels, Signe Theill

Was man zuerst wahrnimmt, ist der alte Stuhl mit abgewetztem Sitzpolster, der offenbar auf der Milchstraße aus weißem Schleiernetz, die sich durch den Hinterhof zieht, gegen die Wand geschwebt ist, an der er jetzt seinen Halt gefunden hat. Das weitmaschig geknüpfte Netz fließt üppig aus den Fenstern der Galerie Gebauer&Günther. Die Australierin Simone Mangos, die 1988 als Gast des DAAD nach Berlin kam und seitdem hier lebt, hat es in dem über Eck laufenden Galerieraum wie einen Vorhang entlang der oberen Wandkante aufgereiht. Die breite, luftige Stoffbahn fällt quer durch den Raum, schießt aus den Fenstern, bauscht sich zu einem immer dichteren Strahl zusammen, an dessen Ende der besagte Stuhl thront. Simone Mangos hat nicht nur Kunst, sondern auch Musik studiert. Es ist eine Art weißes Rauschen, white noise, das den Raum durchflutet, seine Wände öffnet: drinnen ist draußen und draußen ist drinnen. Die Geburt der Melodie aus dem Rauschen geschieht im konzentrierten Schauen. Ihre Klangfarbe ist bedingt vom Zeitpunkt, zu dem man das zerebrale Netzwerk erkundet. Am frühen Nachmittag ist sie heiterer als am späten, der eher melancholische metallische Farbtöne zeigt. Die Zeit konstituiert den Raum, den man jeweils als einen anderen antrifft. Ersichtlich ist es ja ein simples Ding, ein Netz, doch mit paradoxer Funktion: festzuhalten, was beweglich ist, wie Fische, Schmetterlinge. Fortzubewegen, was unbeweglich ist, Architektur, die durch Tarnung entwischt. Das durchlässige Netz ist ein Stauraum des offenbar Verborgenen.

Stasis, bis 11. Juni, Oranienstraße 24, Mi.–Sa., 14–19 Uhr

Auch ein Netzwerk: In gleichen quadratischen Abständen hängen zwanzig an Kordeln befestigte Mappen von der Decke herab, blau und schwarz gebunden. Im nächsten Raum sind sie weiß und baumeln im Kreis, sechzehn Stück; während im folgenden Raum je sieben rote und sieben grüne Mappen den Längswänden entlang aufgereiht sind. Dekorativ-bedeutsame Konfigurationen des Düsseldorfers Peter Josef Abels in der Galerie Barbara Weiss. Ein Archiv in Bauchhöhe, nach dessen einzelnen Kladden der Besucher greifen muß, um die darin enthaltenen Farbfotokopien, Bilder und Texte zu den verschiedensten Themen zu studieren. An der langen Leine geführt, verharrt man am Ort des Fundes und vertieft sich in 99 Fotokopien, die dem „Schatten“ (1992) folgen, blättert durch 102 Fotokopien von „Hochspannungsmasten“ (1993), 25 Kopien zeigen die „Stille Kunst am Rhein“ (1994). „Die Wahrheit ist ein schönes Bild“ ist einem tiefgefrorenen Huhn gewidmet. Die enzyklopädische Gewalt des angesammelten Materials ist entmutigend. Poetische Assoziationen oder erzählende, aggressive Anekdoten der Mappen wollen mit gutem Stehvermögen, Geduld und Courage angesichts der überwältigenden Fülle, erobert werden. Die „Deutsche Bank“, 33 Bilder der Schaufensterdekoration einer x-beliebigen Filiale, läßt sich dann als einer der besten Diskurse zum Kunstverständnis dieses Instituts lesen, das sich als nationale Institution aufspielt. Vernichtend. Man muß es sehen.

Die Mappen, bis 11. Juni, Potsdamer Straße 93, Mo.–Fr. 12–18 Uhr, Sa. 11–14 Uhr

Mehr Idylle ist kaum vorstellbar: Das Umweltbundesamt läßt die Eingangstür seines Galerieraums zum Garten mit alten Bäumen und einem schilfumwachsenen Teich hin offenstehen. Während uns drinnen „Nature Morte“ als düstere, fotografisch dokumentierte Wahrheit im wahrsten Sinne des Wortes serviert wird, auf Goldrandtellern und -tassen, dringt von draußen das Zwitschern der Vögel herein. Signe Theill bearbeitet die Wunschbilder dieser heilen Natur, die unsere Alltagsgegenstände schmückt. Die zwangsläufige Modifikation der Bildwelt in Folge der Umweltzerstörung ist ihr Thema. Nehmen wir diese Zerstörung in Kauf, sollten wir, so ihr sarkastischer Vorschlag, unser Badezimmer mit der Abbildung abgestorbener Fichten auskacheln. Natur, die immer mehr Idee denn Realität war: Ein S/w- Großfoto „Kultur/Natur“ (1990) blendet einen schmiedeeisernen Gartenzaun neben das Bild abgebrochener, CO2-zerstörter Baumwipfel. Der Zaun erinnert an die Pflanzenfotografie von Karl Bloßfeldt, „Urformen der Kunst“; die toten Baumwipfel allerdings nicht minder. Das ist der Schock der automobilen Moderne. Die Zeichnung eines verkrebsten, degenerierten Fisches ist Vorstudie zu einer „Skulptur in der Manier von Jeff Koons“. Die Katastrophe ist in unserem Besitz. Brigitte Werneburg

Bis 13.5., Bismarckplatz 1, Mo.– Do., 9–17, Fr. 15.30–17 Uhr