Rote Taschen usw.

■ Bei RTL fängt heute ein neuer Chefredakteur an

Wien (taz) – Wenn Hans Mahr bei Robert Lembkes „Was bin ich“ eine typische Handbewegung machen müßte, sie sähe aus „wie ein epileptischer Anfall“. So beschreibt ein ehemaliger Kollege den Arbeitsstil des neuen RTL- Chefredakteurs, der heute in Köln seinen Posten antritt. Als „menschgewordenes Arbeitsaggregat“ wird dem 45jährigen Wiener nachgesagt, simultan mehrere Aufgaben erledigen zu können. Als Geschäftsführer des auflagenstärksten österreichischen Boulevardblattes Kronenzeitung beherrschte er es vorzüglich, während eines Telefonats einen Brief zu diktieren, Kaffee zu trinken und zusätzlich noch vier Besucher abzufertigen.

Mahr war bisher ein medialer Hansdampf in allen Gassen und stets treuer Diener seines Herrn, des Krone-Chefs Hans Dichand. Für seinen Förderer verwaltete er in den vergangenen Jahren Beteiligungen bei der Hamburger Morgenpost, trieb die Radiopläne des Zeitungszaren voran und übernahm die RTL-Vertretung in der Alpenrepublik.

Mit Mahr hat sich Landsmann und RTL-Boß Helmut Thoma nicht nur einen guten, sondern sicherlich auch einen treuen Freund ins Haus geholt. Trotz seiner strategisch wichtigen Posten hat sich Mahr in all den Jahren nie in den Vordergrund gedrängt, es sei denn als Partylöwe. Kaum ein gesellschaftliches Ereignis, bei dem der bläßliche Brillenträger nicht gesichtet wurde. Auch seinen mittlerweile erwachsenen Sohnemann nahm der alleinerziehende Vater zu Empfängen mit. Wie ein Lifestyle-Magazin zu berichten weiß, soll der Filius bei Langeweile unter dem Tisch die Prominenz in den Unterschenkel gebissen haben.

Im Wiener Nachtleben machte Mahr auch die Bekanntschaft von Austropopper „Falco“ (Hansi Hölzl), an dessen Höhenflug er als „Berater und Freund“ beträchtlichen Anteil hat. Eine „goldene Schallplatte“ Falcos hängt auch in Mahrs Büro. Daneben ist ein Spruch zu finden, der wohl Mahrs berufliche Midlife-crisis charakterisiert: „Wenn die Männer in die Jahre kommen, wo sie keine schlechten Beispiele mehr geben können, fangen sie an, gute Ratschläge zu erteilen.“

Mahr selbst galt vor seinem Rückzug in die Führungsetage jedoch als gutes Beispiel für einen mit allen Wassern gewaschenen Boulevardjournalisten. Schon mit 14 verdingte er sich als Sportreporter. Nach dem Abitur machte er seine Neigung zu einem „ordentlichen Beruf“. Ausgestattet mit einem medialen Jagdinstinkt, avancierte er bald zum „Wunderkind am Boulevard“. Als der Wiener 22 Jahre war, ernannte ihn Krone- Boß Dichand zum Ressortleiter Politik der auflagenstärksten Tageszeitung.

Neben Dichand konnte Mahr noch auf einen prominenten Förderer zählen: Bruno Kreisky, der legendäre sozialistische Bundeskanzler, schanzte ihm immer wieder Exklusivgeschichten zu. Die symbiotische Beziehung der beiden setzte sich Mitte der siebziger Jahre auf anderer Ebene fort. Kreisky überredete den jungen Redakteur, seine Dienste der SPÖ zur Verfügung zu stellen. Erst als PR-Manager, dann als publizistischer Wahlkampfleiter arbeitete Mahr vier Jahre für die Sozialisten.

Aus dieser Zeit stammt Mahrs gestörtes Verhältnis zu roten Taschen. Er ließ nämlich bei einer Parteiveranstaltung seine in der traditionellen SPÖ-Farbe gehaltene Tasche mit brisanten Unterlagen über die Wahlkampfstrategie liegen. Die Papiere wurden einem Nachrichtenmagazin zugespielt, was das Ende von Mahrs Parteikarriere einläutete. Die Folgen bekommt Mahr heute noch zu spüren: „Ich meide rote Taschen. Denn immer wieder fragen mich Leute, ob ich sie nicht irgendwo liegenlassen will.“

Dichand nahm seinen Schützling alsbald wieder zu sich und schickte ihn ins Medienmanagement. Und auch hier hatte Mahr Erfolg: trotz neuer Konkurrenz am heißumkämpften Boulevard in Österreich gelang es ihm, die Auflage der Krone zu steigern. Krone- bunt, „das schönste Tierfoto“ und eine Gesundheitsaktion sind Beispiele seiner Aktionen. Einen Satz, den Dichand ihm einst mit auf den Weg gab, hat Mahr in all den Jahren beherzigt. „Machen Sie es anders als die anderen und besser!“

Ob es Mahr tatsächlich besser machen wird als sein RTL-Vorgänger Dieter Lesche, der nach internen Querelen mit Thoma im Februar ausgeschieden war, wird die Zeit zeigen. Als Chefredakteur und „Informationsdirektor“ ist Mahr für alle Nachrichten-, Magazin-, Sport- und Regionalsendungen verantwortlich. Im Zuge der „Informationsoffensive“ will Boulevard-Mann Mahr den erfolgreichsten deutschen Privatsender durch die Zündung einer „Informationsrakete“ weiter in den Quotenhimmel schießen. Seine nächsten Aufgaben werden die Wahlberichterstattung und ein neues News-Magazin für die „prime time“ sein. Nach eigener Aussage bringt Mahr zwei Aktentaschen voller Ideen und Pläne mit nach Köln. Bleibt für ihn nur zu hoffen, daß es keine roten sind. Alexandra Föderl-Schmid