Ein Tag der Arbeit, aber keinen Job

■ Irland hat in diesem Jahr zum ersten Mal einen offiziellen Maifeiertag

„Das ist typisch irisch“, sagte Anne O'Leary, die in einer Beratungsstelle für SozialhilfeempfängerInnen arbeitet. „Während man in vielen anderen Ländern den Maifeiertag abschafft, wird er in Irland gerade erst eingeführt.“ Nächste Woche begeht die Grüne Insel zum ersten Mal offiziell den „Tag der Arbeit“. Daß der „May Day“ auf einen Sonntag fällt, tut der Freude keinen Abbruch: Wie in einem solchen Fall üblich, wird der Feiertag einfach auf den Montag verschoben.

Freilich geht es den IrInnen nicht nur um einen arbeitsfreien Tag. Bereits Ende des vergangenen Jahrhunderts fanden am ersten Sonntag im Mai stets große Demonstrationen statt, auch wenn man von einem offiziellen Feiertag noch weit entfernt war. Der rückte nach dem Ersten Weltkrieg vorübergehend etwas näher, als die Labour Party eine Delegation zur Internationalen Sozialistischen Konferenz nach Bern entsandte, wo sie ihr „Demokratisches Programm für Irland“ vorstellte. Offenbar wollten die Delegierten damit beweisen, daß die Labour Party gewissen Einfluß auf das – von Großbritannien nicht anerkannte – Dubliner Parlament hatte, auch wenn sie nicht darin vertreten war. Die Partei erhoffte sich die Unterstützung der Konferenz für die irische Unabhängigkeit. Die Delegierten kehrten mit dem Bekenntnis der Konferenz zu einem offiziellen Maifeiertag nach Irland zurück, das „Demokratische Programm“ – samt Maifeiertag – wurde in verwässerter Form vom Parlament verabschiedet.

Als der „Tag der Arbeit“ zum ersten Mal herannahte, gab es ihn jedoch schon nicht mehr. Michael Collins von Sinn Féin (Wir selbst“), der dominierenden Partei im Parlament, hatte vorausgeahnt, daß das sozialistische Programm im Kanonendonner des Unabhängigkeitskrieges untergehen würde. So ist das sozialistische Programm von 1919 in die Geschichte eingegangen als „soziale Revolution, die niemals stattgefunden hat“. Als die Waffen 1922 wieder schwiegen und Irland eine Teilunabhängigkeit errungen hatte, waren die besitzenden Klassen längst wieder obenauf, die Arbeiterklasse gespalten und das „Demokratische Programm“ in der Schublade – und damit auch der Maifeiertag.

Dort blieb er bis 1973. Bei den Wahlen im März des Jahres erhielt eine Koalition aus Labour und der konservativen Fine Gael eine knappe Mehrheit, die immerhin vier Jahre hielt. Labour als Juniorpartner erinnerte sich nun wieder an den „May Day“, doch der Vorstoß bei den Fine-Gael-Kollegen führte lediglich zu einem faulen Kompromiß: Statt des „Tages der Arbeit“ im Mai gab es einen namenlosen Feiertag im Oktober, den jeder nach seinem Geschmack feiern konnte.

Erst bei den Wahlen Ende 1992 gewann die Labour Party erstmals in ihrer Geschichte so viele Mandate, daß sie ihren Forderungen gegenüber dem Koalitionspartner – diesmal ist es Fianna Fail, eine weitere konservative Partei, die Irland seit der Staatsgründung mit kurzen Unterbrechungen wie einen Familienbetrieb regiert – etwas Nachdruck verleihen kann. So bescherte sie den IrInnen nun einen echten Maifeiertag. „Viel mehr als das hat sie bisher allerdings nicht geleistet“, monierte Anne O'Leary. „Jetzt haben wir zwar einen Tag der Arbeit, aber keine Arbeit mehr.“ Noch nie in der irischen Geschichte waren so viele Menschen ohne Job. Die Zahl liegt bei über 20 Prozent, viele davon sind Langzeitarbeitslose. In ihren Ohren dürfte der Tag der Arbeit wie Salz in offenen Wunden wirken. Ralf Sotscheck, Dublin