Rollheimer müssen Baggern weichen

■ Die Bewohner des Rollheimer-Dorfs am Potsdamer Platz befürchten Räumung / Senatssozialverwaltung dementiert: Den Dörflern werde, wie versprochen, ein Ersatzgrundstück zur Verfügung gestellt

Die Tage des malerischen Rollheimer-Dorfes auf dem Potsdamer Platz sind gezählt. Die Arbeiter hocken in den Startlöchern, um auf dem Grundstück längs der Köthener Straße mit den Baumaßnahmen zu beginnen. Auf der Brachfläche mitten in der Stadt, wo 50 bunte Wohnwagen zwischen liebevoll angelegten Gärtchen stehen, sollen für den Elektrokonzern ABB Bürohochhäuser, Läden und Wohnungen errichtet werden.

Die Wohnwagensiedlung am Potsdamer Platz ist das älteste Rollheimer-Dorf Berlins. Daß sie nach den Jahren der Ruhe im Schutz der Mauer irgendwann den Baggern würden weichen müssen, ist den 25 bis 30 Bewohnern schon lange klar. Nur der genaue Termin stand bislang nicht fest. Die Hiobsbotschaft erreichte das Dorf vor ein paar Wochen in Form eines Schreibens der Senatsverwaltung für Soziales: Die Baufirma von ABB wolle am 18. April mit dem Einbringen von Bohrpfählen und dem Erdaushub beginnen, hieß es darin. „Wir sehen wegen der anstehenden Bauarbeiten keine Möglichkeit (...) für die Erhaltung der Wagenburg auf dem Standort Köthener Straße und müssen Sie deshalb bitten, sich in den nächsten Tagen auf individuelle Umzugslösungen einzustellen.“

Der Schrecken saß. Schließlich hatte Sozialsenatorin Ingrid Stahmer (SPD) bei einem Besuch des Dorfes vor mehreren Jahren fest zugesagt, die Bewohner mindestens drei Monate vor dem Tag X von diesem zu unterrichten. Auch ein Ersatzgrundstück für die Wohnwagensiedlung hatte ihnen die Sozialverwaltung fest versprochen. Solange, bis dieses gefunden sei, so die Vereinbarung, werde für das Dorf eine Zwischenlösung gefunden werden.

Der in dem Schreiben der Sozialverwaltung genannte Tag X war gestern gekommen. Doch statt ihre Sachen zu packen, luden die Rollheimer vor ihren „Radhaus“ unter freiem Himmel zu einer Pressekonferenz. „Wir haben keine Illusionen, daß wir auf dem Platz hier milliardenschwere Investitionen blockieren können und wollen dies auch gar nicht“, betonte der langjährige Rollheimer Wolfgang Niedrich. Aber man „bitte und fordere“ die Sozialverwaltung auf, ihre Zusagen einzuhalten. Als kurzfristige Zwischenlösung biete sich zum Bespiel ein brachliegendes Grundstück der Reichsbahn hinter dem Anhalter Bahnhof an. Der Leiter der Baufirma habe ihnen zwar in die Hand versprochen, daß er bei der Polizei keinen Räumungsantrag stellen werde, aber gänzlich zu trauen sei dem Frieden nicht. Gerüchten zufolge habe das Bezirksamt Tiergarten bereits einen Räumungsantrag wegen Gefahr im Verzuge gestellt.

Die Sprecherin der Sozialverwaltung, Rita Hermanns, suchte diese Befürchtungen gestern allerdings zu zerstreuen. „Es wird nicht geräumt“, versicherte sie auf Nachfrage der taz. Die Sozialverwaltung werde sich auch an die übrigen Versprechen halten. Die Verhandlungen über eine Zwischenlösung seien so weit gediehen, so Hermanns, daß „der Umzug in den nächsten Tagen stattfinden kann“.

Zu Ende geht damit unwiderruflich ein absurdes Stückchen Stadtgeschichte. Die ersten Rollheimer hatten sich 1981 auf dem Ödland im Schatten der Mauer niedergelassen, wo früher einmal das heute legendäre Haus Vaterland stand. Der Grundstückseigentümer, eine Grundstücksaktiengesellschaft, ermöglichte ihnen mehr als ein Jahrzehnt ein friedliches Dasein, neugierig von den DDR- Grenzpolizisten durch Ferngläser beäugt.

Der Kontakt wurde bald so gut, daß sich der eine oder andere Grepo noch zu DDR-Zeiten durch das Türchen in der Mauer zu den Wohnwagen geschlichen haben soll, um dort eine Tasse Kaffee zu trinken. Nach dem Fall der Mauer seien sofort einige der Grenzer zu Besuch gekommen und hätten sich ganz gezielt nach bestimmten Frauen erkundigt, die früher im Dorf gelebt hatten: „Die haben all die Jahre lang Phantasien gehabt.“ Plutonia Plarre