Hierarchiefrei abgewickelt

■ Wonach sich Studenten aller Länder die Finger lecken, die Projekttutorien, das steht auf der endlosen Sparliste / Forschendes Lernen ohne professorale Zeigefinger

Die studentischen Ansätze erwischt es zuerst. Obwohl es zu den wenigen Konsensen der Reformdebatte zählt, mehr studentische TutorInnen für die Lehre einzustellen und ihnen auch mehr Selbstbestimmung zu geben – die Sparmaßnahmen des Senats bedrohen diese spezielle Form von Lernveranstaltungen, die es praktisch nur in Berlin gibt: Seit 1985 wird an der Technischen Universität interdisziplinär in Projektwerkstätten gelehrt und gelernt, an der Freien Universität gibt es seit UniMut die sehr ähnlichen Projekttutorien.

Die studentischen Projektgrupen heben sich vor allem in ihrer Form des forschenden Lernens von den übrigen Kursen ab. Das Programm wird von den TeilnehmerInnen selbst zusammengestellt und hat ein konkretes Projekt als Zielvorgabe. An der TU, wo das Konzept auf ältere Modelle der 60er Jahre aufbaut, finden sich im diesjährigen Angebot unter den 21 Veranstaltungen viele zu alternativen Technologien. Während die Professoren ihren alten Stoff lesen, forschen Studierende über ökologischen Landbau, Energiesparhäuser, Wind- und Sonnenenergie. Daneben gibt es aber auch – der gesamtwissenschaftlichen Ausrichtung der TU entsprechend – geschichtliche Forschungsprojekte und Arbeiten über die Geschlechterdiskriminierung. Wenngleich einzelnen DozentInnen zugeordnet, sind die Projektwerkstätten grundsätzlich für Studierende aller Fachbereiche offen. Die Betreuung erfolgt durch Professoren und Dozenten, in der Gruppe selbst sind die StudentInnen jedoch meist unter sich. Hierarchiefreies Arbeiten ist wesentlicher Bestandteil der Projekte.

Für die Genehmigung zuständig ist die Kommission für Lehre und Studium, in der Studierende die Hälfte der Sitze einnehmen. Hier müssen AntragstellerInnen darlegen, daß ihr Projekt einen gesellschaftlich relevanten Themenbereich behandelt, der im herkömmlichen Lehrangebot zu kurz kommt. Bei positivem Bescheid erhalten die StudentInnen einen zweijährigen Vertrag als TutorInnen. Bei guter Bilanz kann verlängert werden. Karl Birkhölzer, der die Projektwerkstätten an der TU betreut, berichtet, daß sich Anträge und Bewilligungen „ungefähr die Waage halten“.

An der Freien Universität sind die Projekttutorien noch nicht so fest etabliert. Hier wurden die Alternativangebote erst nach dem Uni-Streik 1988/89 ins Leben gerufen. Durch das damalige Hochschulsonderprogramm – je nach Lesart eine Streikerrungenschaft oder ein Lockvogel des Staates – wurden die Stellen der TutorInnen und ihrer Koordinierungsstelle für einen befristeten Zeitraum finanziert. Auch an der FU sind die Projekttutorien stark interdisziplinär geprägt, auch die Organisation ähnelt dem Modell aus Charlottenburg. Entsprechend der Fächerstruktur dominieren in Dahlem geisteswissenschaftliche Themen die Titel der rund 60 Veranstaltungen. „Ethik in der versportlichten Gesellschaft“, „Metaphorik der Asyldebatte“ oder „Feminismus und Islam“ können in diesem Semester belegt werden. Da die offizielle Angliederung an einen Fachbereich die Eigenständigkeit der Projekttutorien einschränken würde, verzichten viele von ihnen gleich darauf. Allerdings können dann auch keine Scheine erworben werden. Die Mitarbeit kann sich trotzdem lohnen. „Ein großer Teil von Magister-, Diplom- und Abschlußarbeiten, sogar von Dissertationen entsteht direkt aus der Arbeit in Projekttutorien“ stellten die Personalräte der studentischen Beschäftigten beider Unis im März fest. An der TU können im Einzelfall sogar die Arbeiten aus der Projektwerkstatt als Prüfungsleistung anerkannt werden.

Trotz dieser Erfolgsbilanz ist die Zukunft ungewiß. Das Hochschulsonderprogramm läuft in den nächsten beiden Jahren aus. An der FU müßten die Projekttutorien, um erhalten zu werden, in den regulären Haushalt aufgenommen werden. Der aber soll bekanntlich gekürzt werden, so daß sich die Projekttutorien gegen andere Interessengruppen durchsetzen müssen. An der TU sieht es zunächst nicht ganz so bedrohlich aus, denn zwei Drittel der momentan 44 Stellen von ProjekttutorInnen sind schon seit Jahren im Haushalt der Uni fest verankert. Durch die Verankerung im Entwicklungsplan versucht die Uni das Programm zu sichern, möglichst sogar mit Aussicht auf Erweiterung. Wie Koordinator Karl Birkhölzer sagt, ist schon heute „der Bedarf größer als die Angebotsmöglichkeit“. Matthias Fink