Gutenberg-Television

■ Ein interaktives Fernsehprojekt in den USA entdeckt das geschriebene Wort

Neil Postman hat gelogen, oder zumindest hat er sich getäuscht. In „Wir amüsieren uns zu Tode“ prognostizierte er die Ablösung der Schriftkultur durch die Fernsehbilderkultur. Was jetzt auf dem electronical highway, der neuen Spielart des Kabelfernsehens in den USA, in einem Feldversuch ausprobiert werden soll, geht genau in die entgegengesetzte Richtung: In Orlando/Florida hat man das gedruckte Wort wiederentdeckt.

Die Glotze spuckt in die gute Stube

Das gemeinsame Projekt der Mediengiganten Time Warner und dem Computerdruckerhersteller Hewlett-Packard sieht die Ausstattung von 4.000 TV-Haushalten mit speziell modifizierten Videofarbdruckern vor. Als „News“ kann damit die Glotze alle Arten von Informationen als Druckerzeugnisse direkt im Wohnzimmer ausspucken. Die Technik ermöglicht es den Zuschauern außerdem, Fernsehbilder als Einzelbilder zu speichern und als Farbprints ausdrucken zu lassen: Al Bundy als Familienfoto für den Schreibtisch.

Diese Anwendungsmöglichkeiten des interaktiven Fernsehens („I-TV“) sollen allerdings nur als Köder für den geplanten späteren breiten Absatz der Hardware dienen. Außerdem sind neue Strategien der Werbewirtschaft Hintergrund des Projekts. Die statistisch belegte Tatsache, daß bei immer mehr TV-Programmen immer weniger ZuschauerInnen während der Werbeinseln auf Empfang bleiben, hat Hersteller und Werber aufgerüttelt. Time Warners „I-TV“ soll jetzt in Orlando neue Möglichkeiten der Marktöffnung in Sachen Werbefernsehen erschließen.

Durch eine menügesteuerte Auswahl kann der Zuschauer via Fernbedienung sich noch ausgiebiger in ein auf dem Bildschirm dargebotenes Produktangebot vertiefen. Potentielle Kunden können einzelne Aspekte wie Farbe, Ausstattung oder Preis abfragen, eine Probefahrt mit dem Auto buchen und schließlich auf Knopfdruck eine komplette (farbige) Werbebroschüre ausdrucken lassen. Kurz: Es kann mit den Händlern und Herstellern kommuniziert werden.

Diese Möglichkeit, das Publikum ganz gezielt zu bewerben, macht „I-TV“ zum Hätschelkind der US-amerikanischen Werbestrategen. Und das ist allerdings auch unabdingbar für die Finanzierung des Projektes notwendig. Die anvisierten Kosten von etwa zwölf Dollar monatlicher TeilnehmerInnengebühr können nur dann gehalten werden, wenn die Werbeindustrie kräftig mitfinanziert.

Die Verantwortlichen von „I-TV“ sind sich auch darüber im klaren, daß dieser Feldversuch interessante Aufschlüsse über den Großversuch electronical highway bringen wird.

Wie realistisch diese Visionen in Sachen „Neue Medien“ einzuschätzen sind, wird sich jedoch erst an der Akzeptanz solcher lokal begrenzten Modellversuche zeigen. Die „elektronische Autobahn“ mit ihren mehr als 500 geplanten Kanälen wird es nur dann geben, wenn ein breiter Absatz der dazu notwendigen Technik abzusehen ist.

Abgesehen davon, daß die Frage unbeantwortet ist, ob und wie viele US-AmerikanerInnen Interesse an einem kleinen Maschinenpark (TV-Monitor, Videoprinter, PC, Laserdiskplayer) haben: Die Tatsache, daß der gute, alte Gutenberg via Kabelanschluß wieder im Fernseh-Zeitalter auftaucht, das klingt wie ein Treppenwitz der Mediengeschichte. Gunter Becker