Links gehen, Rechts widerstehen

Bilderrätsel in der U-Bahn: Den Ignoranten den Garaus machen – pädagogisch wertvoll und originell  ■ Von Katja Winckler

Man kennt es: Qualvoll lang kann sich das Warten in grauen U- Bahnhöfen hinziehen, am besten noch mit knurrendem Magen und dem Einkauf von einer Woche in etlichen Plastiktüten. Diesen Umstand nahmen mehrere Berliner Frauen vom „Internationalen Frauenaktionsbündnis“ zum Anlaß, um ihn für ihre Belange zu nutzen. Sie begaben sich in die Froschperspektive, in das Reich der Bilderrätsel. Fast jeder hat so was schon mal als Kind in Kinderbüchern gelöst. Das Prinzip ist simpel: Eine Zeichnung von einem Haus mit einer durchgestrichenen Eins bedeutet „aus“, was man dann immer so weiter fortspinnen kann.

Im U-Bahnhof Moritzplatz hängen seit Ende Februar acht solcher Bilderrätsel. Was zunächst als merkwürdiges Symbol- und Zeichengewusel erscheint, entpuppt sich nach längerer Knobelei als Aufruf gegen Rassismus und Sexismus. Mit Versuchen, diesen unerfreulichen Auswüchsen ein Zeichen entgegenzusetzen, werden wir seit Solingen und Hoyerswerda förmlich überschwemmt. Plakatierungen mit „Mein Freund ist Ausländer“-Slogans geraten dabei oft etwas zu plump und verkommen zu selbstverständlichen Floskeln. Abnutzungserscheinungen inbegriffen.

Mit dem Projekt „Antirassistische Bilderrätsel“ aber wurde eine andere Form der Annäherung gesucht (und gefunden). Selbst die größten Ignoranten könnte man mit dem Rätseltrick an der Nase packen. Doch was erwartet einen am Moritzplatz? Ein Beispiel: „Farben“ weniger „n“ plus erster und zweiter Buchstabe von „Berlin“ und „Ketten“ minus „tt“, ergänzt „nn“ ergibt? Na?? Das, was (nicht nur) vielen blöden U-Bahn- Fahrern fehlt, wenn's brenzlig wird.

Ein Jahr lang arbeiteten die Frauen des jetzt nicht mehr existierenden „Internationalen Frauenaktionsbündnisses“ (Waltraud Schwab, Hilla Stute, Lynda Lawrence, Vera Antipina, Naana Lorbeer und Hannelore Häberlein) an der Gestaltung der acht Wände. Leicht war die Auswahl der Sätze nicht, denn sie sollen langfristig und allgemeingültig sein. Die „Künstlerinnenförderung“ des Senats und die „VVR-Berek“, eine Tochtergesellschaft der BVG, machten die Ausführung möglich.

Allerdings, man muß in deutscher Orthographie schon gut sein, sonst ist man sehr schnell aus dem Rennen. Doch das ist Programm, denn die Frauen sehen den Rassismus in Deutschland als zunächst vorrangig deutsches Problem.

Die Rolltreppenfahrer-Anweisung „Rechts stehen, links gehen“ wandelten sie ab und appellieren mit ihrer Version „Links gehen, Rechts widerstehen“ gegen Rechtsradikalismus. Ein bebildertes Gedicht von Marie-Luise Kaschnitz mildert dabei den ansonsten doch sehr parolenhaft gehaltenen Charakter der Plakatwände.

U-Bahn-Plakatierung gegen Ausländerfeindlichkeit ist in Berlin ja nichts Neues. Mit poppig bunt aufgemachten Plakaten wirbt die Ausländerbeauftragte Barbara John beispielsweise mit einer bunt zusammengewürfelten Streetgang in ausgelassener Stimmung für ein freundlicheres Klima. Eine andere Variante ist das Anbändeln zweier Beinpaare (schwarz und weiß) unter einer Schulbank. Plakate mit austausch- und variierbaren Fotos von Berliner Leuten jeder Hautfarbe wurden auch schon ausgehängt und sollen durch positive Ausstrahlung das Miteinanderleben schmackhafter machen.

Die aktuellste U-Bahn-Kampagne unter dem Motto „Was ist wahr?“ „Was ist deutsch?“ spielt mit Vorurteilen und Klischees. Außerdem schafft sie ein Forum für Meinungen, da sie die Berliner zum Mitmachen aufruft und sie einbezieht. Die große Resonanz zeigt den Erfolg der Kampagne, die die Betrachter nicht mit Phrasen gängelt oder überredet, sondern zum eigenständigen Denken animiert. All das sind gute, einfallsreiche Möglichkeiten. Auf alle Fälle besser als geheuchelte „Wir lieben uns alle“-Aufrufe, die sich von den bahnhofsüblichen „Kauf mich“-Anschlägen in keiner Weise unterscheiden, sondern nach dem üblichen Konsum-Muster verlaufen.

Ganz anders ist da das Bilderrätsel. Ein echtes Novum, das dem Gedächtnis lange präsent ist, vielleicht gerade weil die Entschlüsselung mit mehr Mühe verbunden ist. Für das Rätselraten kann man sich die Frist von einem halben Jahr geben, so lange hängen sie noch.