■ Mario Vargas Llosa über den Aufstand in Mexiko
: Eine anachronistische Bewegung

Gewiß, die Rebellion des selbsternannten „Zapatistischen Heeres der Nationalen Befreiung“ in Chiapas ist großenteils niedergeschlagen: durch Repression, darunter offenbar auch Exekution von Gefangenen, Bomben gegen die unbewaffnete Bevölkerung und all die anderen Grausamkeiten, mit denen lateinamerikanische Regime üblicherweise einer Subversion begegnen. Dennoch werden die Rebellenaktionen vermutlich weitergehen, wenn auch nicht mehr so spektakulär wie am Neujahrstag.

Es braucht wenig Phantasie, um sich vorzustellen, was Mexiko jetzt erwartet. Es genügt, sich die jüngste Vergangenheit El Salvadors in Erinnerung zu rufen – vor dem Friedensschluß zwischen der Regierung und der FMLN – oder sich die Länder Guatemala, Kolumbien und Peru heute anzuschauen. Dort legen subversive Bewegungen, die nicht die geringste Möglichkeit haben, an die Macht zu kommen, Autobomben und Hinterhalte gegen Militärpatrouillen. Mit gezielten Morden, Entführungen und Banküberfällen verbreiten ihre Truppen Unsicherheit und fordern die Regierungen heraus. Die Ordnungskräfte reagieren mit Repressalien, deren Opfer in den allermeisten Fällen arme und unschuldige Menschen sind.

In den Tagen des Aufstandes von Chiapas bereiste ich gerade die Mayaruinen im benachbarten Bundesstaat Yucatán. In dessen Hauptstadt Mérida sah ich im Fernsehen den jungen und unbefangenen Guerillakommandanten Marcos, wie er, sein Maschinengewehr streichelnd, die Ziele der Rebellion verkündete: Schluß mit dem Kapitalismus und der Bourgeoisie zu machen und den Sozialismus in Mexiko zu errichten, um den Indios, die durch das neue Freihandelsabkommen mit den USA und Kanada verarmen, Gerechtigkeit und Brot zu bringen.

Die Bedrohung wird das Regime verhärten

Der desorientierte Guerillero schien weder zu wissen, warum die Mauer in Berlin gefallen war, noch bemerkt zu haben, daß der Golf von Mexiko und die Karibik von Schicksalsflößen nur so wimmeln. Verzweifelte Kubaner, die vom Skorbut und der Wurzel-und- Pflanzen-Diät genug haben, die ihnen der Sozialismus gebracht hat, setzen sich den Haien aus – nur um in die kapitalistische Hölle zu gelangen, gegebenenfalls auch in ihrer mexikanischen Version.

Ich bin ein harter Kritiker des antidemokratischen Systems von Mexiko. Weil ich es „die perfekte Diktatur“ genannt habe, bin ich vielfach beschimpft worden. Dennoch glaube ich, daß der Zapatistenaufstand von Chiapas schlicht zu verurteilen ist – als reaktionäre und anachronistische Bewegung, noch autoritärer und obsoleter als die PRI (Institutionalisierte Revolutionspartei, die Staatspartei). Ein ideologischer Salto rückwärts, der mit seinem utopischen Vorhaben, die Macht zu erringen, weder die Korruption verringern noch die begrenzte Freiheit, die das mexikanische Volk genießt, auch nur um ein Jota vergrößern wird.

Leider täuschen sich alle, die den Angriff der Zapatisten feiern, weil sie glauben, er werde die von der PRI dominierten Machtstrukturen schwächen und die unabdingbare Demokratisierung beschleunigen. Am wahrscheinlichsten ist das Gegenteil: Angesichts der frontalen Bedrohung durch die Linke wird das Regime sich verhärten, alle seine Tendenzen werden sich in einem Überlebensreflex vereinigen. Gewinnen werden die Populisten und Nationalisten traurigen Angedenkens, deren Redeweise jedenfalls von der des Kommandanten Marcos nicht sehr weit entfernt ist.

Eine bewaffnete Rebellion ist nur in solchen Diktaturen gerechtfertigt, in denen es keinerlei Spielraum für eine friedliche Aktion zugunsten des Wandels gibt – das heißt in Despotien wie der des Generals Cédras auf Haiti oder der Castros auf Kuba. In Mexiko dagegen hat die PRI auch mit Wahlbetrug und vielen subtilen Kontrollmechanismen nicht verhindern können, daß die Linksopposition von Cárdenas und die Rechte (des Partido de Acción Nacional) wichtige Räume in staatlichen Strukturen und der öffentlichen Meinung besetzt haben. Auch wenn das sicherlich ein sehr langsamer Demokratisierungsprozeß ist, der Ungeduldige verzweifeln läßt.

Allein gänzlich Unwissende können bestreiten, daß Mexikos Öffnung für die Weltmärkte, die Privatisierung der Staatsunternehmen und das Freihandelsabkommen die Grundmauern der „perfekten Diktatur“ der PRI untergraben. Sie wird es nicht überleben, wenn die Gelder aus den Staatsfirmen, mit denen sie bislang ihre Klientel korrumpiert hat, in die Zivilgesellschaft fließen. Noch wird sie eine unabhängige Gerichtsbarkeit überleben, grundlegende Voraussetzung einer internationalisierten Marktwirtschaft.

Die Rebellion der Zapatisten unterbricht diese Entwicklung nicht, aber sie wird ihr – selbst als Eintagsfliege – einen ernsthaften Rückschlag versetzen. Sie hat denjenigen Interessengruppen in den USA neue Munition geliefert, die mit den nationalistischen und rassistischen Argumenten eines Perot gegen das Freihandelsabkommen kämpfen: Mexiko sei ein primitives und barbarisches Land, nicht bereit für eine Wirtschaftsgemeinschaft mit Ländern der Ersten Welt. Ich bin überrascht, daß einige mexikanische Intellektuelle das nicht alarmiert, sondern befriedigt – so als ob die Armen Mexikos politisch oder wirtschaftlich daraus Nutzen zögen.

Wo ist die Alternative zu Privatisierungen?

Welchen Nutzen? Und wie kommt er zustande? Natürlich hätte Salinas' Politik der Öffnung gegenüber dem internationalen Handel und seinen Privatisierungen effizienter sein können. Die Privatisierungen hätten nicht nur die Staatskassen füllen, sondern vor allem Eigentum und Aktien unter Arbeitern, Angestellen und in unteren Einkommensschichten schaffen sollen. Diese Kritik trifft übrigens auf fast alle Privatisierungen in Lateinamerika zu (mit wenigen Ausnahmen wie die der chilenischen Sozialversicherung). Aber gab es denn eine vernünftige Alternative? Hätte man lieber den Status quo beibehalten sollen? Oder mit der Nationalisierung der Banken weitermachen sollen, die López Portillo [Staatspräsident von 1976 bis 1982, die Red.] mit den bekannten erdbebenähnlichen Folgen verbrochen hat?

Gewiß sind die Früchte der Modernisierung nicht bis zu den unteren Schichten der Gesellschaftspyramide Mexikos gelangt, und zweifellos gehören die Campesinos und indianischen Gemeinschaften von Chiapas zu denen, die im Gegenteil dabei verloren haben. Wenn diese Kritik aber nützlich sein soll, müßte sie von Vorschlägen begleitet werden, wie Indianern und Bauernfamilien effektiv geholfen werden kann. Wie können sie möglichst schnell die materiellen Voraussetzungen und die Ausbildung bekommen, die für ihre Entwicklung nötig sind? Der Aufstand der Zapatisten geht in die entgegengesetzte Richtung: Wie der Skorpion, der das Feuer beschwört, indem er den Giftstachel auf die eigene Brust richtet, werden hier die unhaltbaren, abgrundtiefen Ungleichheiten zwischen Arm und Reich dadurch bekämpft, daß alle Mexikaner im Elend gleichgemacht werden.

Der Peruaner Vargas Llosa hat 1984 den Roman „Mayta“ veröffentlicht, in dem er das Leben eines peruanischen Trotzkisten schildert, der erst zum Aufständischen und dann zum Gegner des bewaffneten Kampfes wird.

Copyright: El Pais. Text leicht gekürzt.

Aus dem Spanischen von Michael Rediske