Im Bette des Sultans

■ Fällige Phantasiekorrektur: Roswitha Gosts Buch über den osmanischen Harem und seinen nach strengen Regeln organisierten Alltag

Wo immer Frauen hinter mehr oder weniger hohen Mauern zusammenleben, beflügeln diese Orte die Phantasie; die männliche aus naheliegenden Gründen, die weibliche mit dem Unterschied, daß es „Innen- und Außenperspektiven“ gibt. Mädcheninternate, Frauengefängnisse und Klöster haben in der Teenager- und Trash-Kultur des 20. Jahrhunderts so vielen Filmen und Romanen als Kulisse gedient, daß dabei neue, eigene Genres entstanden sind.

Ganz ähnnlich verhält es sich mit dem Harem als beliebtem Motiv vornehmlich der europäischen Malerei des 18. und 19. Jahrhunderts. Nackte, elfenbeinfarbene Schönheiten liegen hingegossen auf Tigerfellen, spielen mit Rehkitzen am Wasserbassin oder lassen sich von schwarzen Sklavinnen in stilvoll gekachelten Bädern massieren. Diese eingängig-erotischen Gemälde haben das westliche Bild vom Harem bis heute nachhhaltiger geprägt als alles, was Geschichtsbücher über die verbotenen Gemächer und das Leben in den orientalischen Palästen zu erzählen wußten. Wahrscheinlich weil man sich im nüchternen Europa ungern aus einer Phantasiewelt imaginierter Lasterhöhlen mit vielen schönen Frauen, mit Amberrauch, Wasserpfeifen, gebratenen Täubchen und dicken Teppichen vertreiben ließ.

Die Bielefelder Soziologin und Historikerin Roswitha Gost schreibt in ihrem Buch über den osmanischen Harem, daß das westliche Klischee herzlich wenig mit dem realen Alltag hinter den von Eunuchen bewachten Pforten zu tun hatte. „Gerade der Umstand, daß man so wenig Konkretes über diese von hohen Mauern umgebenen Einrichtungen wußte, gab Anlaß zu abenteuerlichen Spekulationen.“ Die ersten beiden Kapitel widmet Gost der europäischen Faszination für die orientalische Hofkultur. Im 18. Jahrhundert sei der Blick auf die östlichen Nachbarn ein „brüderlicher, verständnisvoller“ gewesen, da man in den europäischen Königshäusern selbst recht hedonistisch lebte. In diesem sinnenfreudigen Ambiente entsprach die „Türkenmode“ einer Neigung zur Exotik, sie inspirierte Opern, Gedichte, Salondekorationen und Gartengestaltungen. Ein Jahrhundert später wurde die kulturelle Orientbegeisterung verlogener, weil sie es sich auf einem Fundament imperialistischer Interessen breit und bequem gemacht hatte. Auch wenn Gost „unseren“ Blick auf den Harem nach den einleitenden Kapiteln nur noch sporadisch thematisiert, bleibt ihr latent kämpferischer Gestus gegen die Männerphantasien um die Huris (im Paradies lebende Jugfrauen von unvergänglicher Schönheit) und Odalisken (Lieblingskonkubinen mit eigenem Zimmer) das einzige, was in diesem kurzweiligen Buch ein wenig stört.

Doch nicht zuletzt dank der sehr sorgfältigen Illustrierung gelingt es der Autorin, die Institution des Harems in den zeitgenössischen, politischen Kontext einzuordnen und plausibel zu machen. Fast beiläufig erfährt man allerlei über die komplizierte Erbfolge im osmanischen Reich, zum Beispiel, wann und warum matrilineare, muslimische Stämme entmachtet wurden, oder was es mit den Brudermorden und Prinzenkäfigen auf sich hatte. Der Harem war zwar einerseits der Ort, wo die intimen Gelüste des Sultans befriedigt wurden, aber er war auch eine politische Bühne, auf der vor allem die diversen Mütter an der Spitze der Palasthierarchie zu gnadenlosen Konkurrenzkämpfen um Machtpositionen gezwungen waren.

Gosts „Harem“ ist ein Buch, das seine historische Seriosität nicht auf Fußnoten baut. Quellen werden relativ selten zitiert, und wenn Augenzeugen, wie etwa die berühmte Lady Montagu, zitiert werden, schwärmen sie über die märchenhaften Haremsdamen und -gemächer. „Unten an ihrem Sofa standen ungefähr zwanzig ihrer (Fatimas, d.A.) holden Dienerinnen und erinnerten mich an die Gemälde antiker Nymphen. Ich dachte nicht, daß die ganze Natur eine Szene von solcher Schönheit schaffen könnte.“ Der Harem, so läßt sich nach Gost schlußfolgern, war ein bis unter die Bettdecke des Sultans zeremonial kontrollierter Raum. Für sexuelle Ausschweifungen, wie sie der Westen auf diese Gemächer projizierte, gab es kaum Gelegenheit. Von der Rekrutierung der Eunuchen bis zur Ausbildung der Konkubinen unterlag das Leben und der Alltag im Harem einem rigiden Gesetz, das für Frauen wohl nur dann erträglich war, wenn man das Glück hatte, als Prinzessin geboren zu werden.

Trotz aller feministischer Vorbehalte gegen die Institution des Harems wird man bei der Lektüre von der Akribie fasziniert, mit der im Orient das jeweilige Bett des obersten Staatsoberhaupts als Schauplatz politischer Machtkämpfe ernstgenommen wurde. Dorothee Wenner

Roswitha Gost, „Der Harem“. Dumont, 260 Seiten, zahlreiche Abbildungen, ca. 36 DM