Das Gespenst vom schwulen Banker

■ Berlins Lesben und Schwule streiten sich wieder um den „Christopher Street Day“ / Gibt es gar getrennte Demos?

Das hat es in der Berliner Demogeschichte noch nie gegeben: Ein Aufzug stoppt auf halber Wegstrecke, weil alle OrdnerInnen ihre Armbinden abstreifen. Die Polizei wird um Verständnis gebeten, daß sich eine neue Demoleitung bildet. Derweil wechselt die Musik aus dem Lautsprecherwagen von Marc Almond zu „Ton Steine Scherben“. Schließlich wird das Leittransparent für die Homo-Ehe gegen ein Laken getauscht, das die Abschaffung der Ehe fordert, und schon setzt sich der Zug wieder in Bewegung.

Auf dieses Verwirrspiel läuft ein Kompromißvorschlag für eine gemeinsame lesbisch-schwule Demo am „Christopher Street Day“ (CSD) hinaus. Ausgedacht hat ihn sich Bastian Finke bei einem chaotischen Vorbereitungsgespräch am Donnerstag abend. „Wir können einfach nicht mehr zusammen planen“, meinte der entnervte Landeschef des Schwulenverbands in Deutschland (SVD) nach zwei Stunden Diskussion und regte an, daß beide Fraktionen der Berliner Homoszene in eigener Regie getrennt losziehen. „Wir marschieren am Ku'damm los. Ihr übernehmt am Brandenburger Tor und könnt dann weiterlaufen, wo und wie es euch gefällt“, schlug Finke dem Aktionsbündnis vor. „Hauptsache, wir marschieren nicht wieder getrennt wie 1993.“

Die sich da so unversöhnlich gegenüberstehen, sind größtenteils dieselben Streithähne und -hennen wie im Vorjahr. Auf der einen Seite haben SVD, Mann-O-Meter und Berliner Aids-Hilfe das Erbe des in den Ruin geführten „CSD e.V.“ angetreten. Auf dessen Konto gingen 1993 die „Europride“-Demo über den Ku'damm sowie das schlecht besuchte Fest in der Wuhlheide, das mit dem Vorwand abgebrochen wurde, Neonazis würden die TeilnehmerInnen bedrohen. Die Erbengemeinschaft beharrt „aus Tradition“ auf einer Route über den Ku'damm, und vor allem will sie den CSD „nicht mit anderen Themen überfrachten“, wie es Bodo Mende vom SVD ausdrückt: „Unser einziger Inhalt ist Homosexualität, bei uns sollen die schwulen Autonomen ebenso mitlaufen wie die schwulen Banker.“

Aber gerade mit letzterer Gruppe – auch wenn sie bislang nicht in Erscheinung getreten ist – will das Aktionsbündnis nichts am Hut haben. „Homo allein ist doch kein Wert“, meinte Angela Tallian. Als Bedingungen für eine gemeinsame Demo verlangte sie antirassistische Inhalte sowie ein 50-Prozent-Stimmrecht für Lesben bei den Vorbereitungen. Im Aktionsbündnis mischen unter anderem die Schwulengruppe bei der PDS, Queer Action und die Allgemeine Homosexuelle Arbeitsgemeinschaft (AHA) mit.

Bis zum nächsten Treffen am 27. Januar (19 Uhr, AHA) haben nun beide Seiten Zeit, über Finkes Kompromißvorschlag zu grübeln. Eine Einigung erscheint unwahrscheinlich. Angela Tallian will nur zustimmen, wenn das Aktionsbündnis die Demo im Osten beginnen darf. „Wir starten die Demo am Ku'damm oder gar nicht“, meinte hingegen Bodo Mende. Wer den CSD-Aufzug zuerst anführe, präge schließlich sein öffentliches Bild, und zudem sei fraglich, ob bei der langen Route vom Ku'damm bis zur Ost-City (oder umgekehrt) überhaupt alle TeilnehmerInnen bis zum Ende durchhielten.

So könnte alles auf einen Sternmarsch hinauslaufen, wie ihn das Aktionsbündnis ursprünglich angeregt hat: zwei getrennte Demos mit einer gemeinsamen Abschlußkundgebung. Ob sich beide Seiten darauf verständigen können, hängt freilich ebenfalls von ihrer Kompromißbereitschaft ab. Nicht zuletzt könnte sich ein weiteres Problem auftun: Wie einigt man und frau sich auf eine gemeinsame RednerInnenliste? Micha Schulze