Ein Tropfen im stillen Kunstozean

■ "Die Zeiten ändern sich, und das ist gut so". Kölns Galerist Paul Maenz schenkt Weimar Teile seiner Kunstsammlung

„Wenn Sie einen Schweizer Bankier aus dem Fenster springen sehen“, so riet einst der französische Philosoph Voltaire Freunden, „springen Sie hinterher, es gibt bestimmt etwas zu verdienen.“ Wenn einer der kulturellen Trendsetter Kölns nach zwanzig Jahren seine Zelte in der Domstadt abbricht und gen Osten zieht, könnte man ähnliches vermuten. Doch Geld war es nicht, was Privatier Paul Maenz, der als Stargalerist an der Avantgarde der achtziger Jahre gut verdient hatte, nach Berlin und Weimar zog, wie er jetzt bekanntgab. Es waren seine Erfahrungen mit der Geschichte, die er bei einer Reise durch die ehemalige DDR kurz nach dem Mauerfall erlebt hatte.

Maenz empfand diese Fahrt, wie er sagt, als „ungeheures Erlebnis“. Im Westen habe man nicht einmal genau die geographischen Verhältnisse des Ostens gekannt. Das habe man nicht beigebracht bekommen kurz nach dem Krieg, und später hätten sie nicht interessiert. Die Rundreise führte Maenz von Mecklenburg-Vorpommern bis nach Weimar. Sie führte ihn über das Gelände des KZ Buchenwald, am anderen Morgen stand Maenz im Goethe-Haus. Der westlich geprägte Internationalist Maenz: „Das alles hat für mich zum ersten Mal so etwas wie, tja, so eine plausible Vorstellung von dem gegeben, was das sein könnte, ein Deutscher zu sein.“

Als er nach seiner Reise im Oktober 1992 vom spektakulären Weimarer Cranach-Kunstraub hörte, bot er der Stadt an, seine Privatsammlung moderner Kunst in die dortigen Kunstsammlungen einzubringen. Zugucken beim Aufbau Ost reicht nicht, dachte Maenz – Wessis in Weimar also einmal anders: Rund 150 Bilder und Skulpturen sowie 200 Zeichnungen der Kunst der sechziger bis zu den achtziger Jahren, von der amerikanischen Konzept-Kunst eines Joseph Kosuth über die Minimal Art, von der Arte Povera über die Kölner „Wilden“ der Mülheimer Freiheit (wie sie in Arbeiten von Walter Dahn festgeschrieben wurde) bis zur italienischen Transavantguardia. Kunst von Pierro Manzoni über Clemente, Anselm Kiefer, Rainer Fetting bis Keith Haring soll in den Weimarer Kunstsammlungen den ausbaufähigen Grundstock einer neuen Abteilung moderner Kunst legen. Die Bibliothek seines Lebensgefährten Gerd de Vries soll den Aufbau einer Kunstbibliothek ermöglichen. Der von Maenz jahrelang betreute Künstler Georg Dokoupil soll den Repräsentationssaal des Weimarer Hotels „Elephant“ ausmalen.

In all diesen Bestrebungen reizen Maenz, wie er sagt, Null-Situationen. Als er Ende der Achtziger einen künstlerischen Generationenwechsel und den Kunstmarktabschwung spürte, schloß er kurzerhand seine Kölner Galerie und verkaufte sein legendäres Archiv an die kalifornische Getty Foundation in Malibu. Nun folgt ein neuer Schnitt. Maenz will den traditionsgesättigten Kulturboden Ost mit der nach dem Krieg im Westen gewachsenen Kunst zusammenfügen.

Genius loci: Die Sammlung Maenz reiht sich im Geist der Klassiker neben Goethe und Schiller, neben Harry Graf Kessler und Walter Gropius ein. Maenz empfindet es in dieser Linie als „ungeheure Auszeichnung, Teil der Weimarer Tradition“ zu werden. In großen Städten wie Berlin oder Dresden, so argumentiert er, wäre die Sammlung wie ein Tropfen im großen Kunstozean. In Weimar könnte sie viel bewirken.

Ein Teil der Kunstwerke werden Leihgaben sein, dazu kommt eine große Schenkung. Mit dem Erlös aus dem Ankauf des dritten Teils will Maenz eine Stiftung gründen. Nach der erfolgreichen Galeristenlaufbahn soll seine Erfolgslaufbahn nun ein kleiner Olymp der Kunstvermittlung mit Namen „Kunstgespräche zu Weimar“ krönen.

Alle zwei Jahre sollen sich „Leute von Tokio bis Alaska“, Kritiker, Künstler, Kunsthändler, zukünftig in Weimar darüber unterhalten, wie und ob überhaupt eine Brücke vom Künstler zum Publikum zu schlagen ist. Eine Fortsetzung seiner Galeristenarbeit auf exklusiverem Niveau, einer mehr internationalen Ebene jenseits von Lokalfeuilleton oder Fachzeitschriften.

Maenz sieht seinen Schritt als praktischen Beitrag zum vielbeschworenen Teilen-Lernen. Man könne, so Maenz, aus dem sehr gemütlich geprägten Rheinland heraus – und dazu zählt er auch den Bonner Regierungsapparat – schlecht mit dem Osten sprechen. Maenz hält das für eine „sehr merkwürdige Position“. Je mehr er jedoch die Dinge aus einer östlichen Perspektive betrachte, desto deutlicher werde ihm der notwendige Wandel im westlichen Ost- Bild: „Es ist ganz merkwürdig. Wir sehen ständig Defizite im Osten. Sehen Sie sich doch nur an, wie Westdeutsche, die in Ostdeutschland Geschäfte machen wollen, sich in Ostdeutschland bewegen. Die wissen es oft nicht besser und sind sehr selten sensibel. Es geht ja auch um Kohle. Aber es ist schon so: Wir treten auf mit dem Bewußtsein ,Die haben da drüben nur eine Chance, wenn die so werden wie wir‘. Was ist denn das für eine Haltung?“

Somit ist auch die Stoßrichtung eines wieder zu vereinigenden Kunstmarkts deutlich. Die Tatsache, daß immer mehr interessante Galeristenfiguren vom Rhein gen Osten abwandern – so verlegte bereits im letzten Jahr der Kölner Galerist Busche seine Galerie nach Berlin, dem nun auch der Kölner Galeriestar Max Hetzler folgen wird –, könne vielleicht dazu beitragen, so argumentiert Maenz selbstbewußt, daß in Berlin „zumindest mal zeitgenössische Kunst stattfindet“. Er mache sich sicher unbeliebt, wenn er sage, daß Berlin „immer so ein bißchen Staub gesammelt habe, und in dieser Sackgasse gab es nicht viel Durchzug“. Diese Entwicklung jetzt könnte Berlin sehr bekommen und könnte damit die Stadt auch für Künstler oder andere schöpferische Leute reizvoll machen. Maenz: „Interessant wird es dann, wenn man beobachten kann, daß 25- bis 30jährige, wenn sie ne Galerie aufmachen wollen, nicht erst lange über das Rheinland nachdenken, sondern gleich nach Berlin gehen. Also ich kann mir nicht vorstellen, wenn ich 25 wäre, auf irgendetwas anderes als Berlin zu kommen. Vielleicht noch auf Leipzig, aber auf Düsseldorf bestimmt nicht mehr.“ Der 53jährige Maenz will Sammlung und Stiftung in Weimar vom neuen Wohnsitz Berlin aus betreuen. Seine Faszination durch Tradition wie Umbruch ist ein Indiz, daß sich historische Kraftlinien verschoben haben, denen die Kunst folgen könnte. Maenz: „Die Zeiten ändern sich, und das ist gut so.“ Ingo Arend