Mord auf Befehl?

■ NS-Prozeß: Angeklagter wegen Mittäterschaft zum Mord schuldig gesprochen – dennoch keine Verurteilung

„Sie sollten nicht jubeln, sondern nachdenken, über die Taten, die Sie begangen haben!“ So gestern der Vorsitzende Richter am Hamburger Landgericht, Jürgen Schenck. Kurz zuvor hatte er das Urteil im wahrscheinlich letzten Hamburger NS-Prozeß gesprochen: Das Verfahren gegen den vierundsiebzigjährigen Rentner Sch. wird eingestellt.

Zwar erkannte das Gericht den Angeklagten für schuldig, im Sommer 1941 drei jüdische Zwangsarbeiter aus „niederen Beweggründen“ erschossen zu haben – dies aber nach Auffassung des Gerichts auf Befehl. Somit konnte dem Angeklagten, der damals als SS-Unterscharführer das Lager Sawin im polnischen Cholm leitete, nur Mittäterschaft beim Mord vorgeworfen werden. Mittäterschaft aber ist nach dieser langen Zeit verjährt. Wäre der Angeklagte wegen Mordes schuldig gesprochen worden, so hätte er mit lebenslänglich rechnen müssen: Mord verjährt nicht.

Das Gericht hatte mit „erheblichen Beweisschwierigkeiten zu kämpfen“, wie Richter Schenck gestern eingestand: Die Tat liegt mittlerweile 52 Jahre zurück, und es gab nur den heute 85-jährigen Joseph Goldberg als Zeugen. Dieser lebt schwer krank in New York, seine Aussagen konnten in dem vierwöchigen Prozeß nur verlesen werden. Inhalt: Goldberg hatte als Mitglied des jüdischen Ordnungsdienstes in Sawin beobachtet, wie der Angeklagte eigenhändig einen jüdischen Zwangsarbeiter erschossen und zwei weitere wahrscheinlich ebenfalls umgebracht hatte. Alle drei waren vorher aus dem Lager geflohen, später aber wieder gefaßt worden.

Die Verteidigung versuchte im Prozeß immer wieder, die Glaubwürdigkeit des Zeugen zu untergraben und seine Aussagen als „Vermengung von verschiedenen Erlebnissen“ zu disqualifizieren. Dies wurde aber von Staatsanwaltschaft und Gericht widerlegt: Der Zeuge Joseph Goldberg hatte bereits Anfang der sechziger Jahre sehr detailliert über die damalige Tat ausgesagt, außerdem stimmten seine Aussagen über die Zustände im Lager mit Angaben des Angeklagten überein.

Auch den Vorwurf, Goldberg wolle späte Rache üben, ließ das Gericht nicht gelten. Goldberg hatte bis in die sechziger Jahre hinein über die Tat geschwiegen, weil er Sch. nicht belasten wollte – der hatte ihn einmal vor dem Transport nach Auschwitz gerettet.

Daß der Prozeß überhaupt zustande kam, ist der Staatsanwältin Helga Grabitz zu verdanken, die erfolgreich Beschwerde gegen den Versuch der Großen Strafkammer 21 eingelegt hatte, den Prozeß gar nicht erst zu eröffnen. Nur ein Belastungszeuge erschien der Kammer zu wenig.

Peter Behrendt