Mörderkonzern will kassieren

■ Eigentlich sind IG Farben seit 45 Jahren aufgelöst - jetzt will der Nazi-Konzern in Berlin 54 Grundstücke zurückhaben, unter anderem im künftigen Regierungsviertel

Eine Berliner Adresse, die sich sehen lassen kann, ist das Kontorhaus in der Mauerstraße 83/84 im Bezirk Mitte – einige Meter entfernt vom künftigen Bundespostministerium. Es ist frisch renoviert, besitzt imposante Glasflächen und Marmor im Eingangsbereich, und über der Tür wölbt sich ein blaues Mosaik mit goldenen Sternen. Die Edelbüros sind bereits bezogen und eingerichtet. Das Grundstück dürfte Millionen wert sein.

Das fein herausgeputzte Geschäftshaus im zukünftigen Regierungsviertel zählt zu den 589 gewerblichen Objekten und 991 Grundstücken der sogenannten „Liste 3“, um die derzeit vor den Verwaltungsgerichten gestritten wird. Unter den etwa 240.000 Restitutionsanträgen, die nach Auskunft des Finanzsenators seit dem Mauerfall allein in Berlin eingegangen sind, haben die vermögensrechtlichen Ansprüche auf Grundstücke der Enteignungs-„Liste 3“ eine besondere Bedeutung: Strittig ist, ob die Enteignungen aus dem Jahre 1949 rechtsgültig sind. Problem: Die entsprechende Verfügung wurde am 14. November 1949 vom Magistrat unterschrieben – aber erst am 2. Dezember des gleichen Jahres veröffentlicht.

In dieser Zeitabfolge liegt die juristische Brisanz, denn nach bundesdeutschem Recht werden Verordnungen erst mit ihrer Veröffentlichung rechtskräftig. Zwischen Beschluß und Veröffentlichung liegt im Fall der „Liste 3“ ein juristisch wichtiges Datum – am 7.Oktober 1949 wurde nämlich aus der sowjetischen Besatzungszone die Deutsche Demokratische Republik, die nach dem Einigungsvertrag nicht mehr befugt war, das Eigentum von Nazis zu konfiszieren.

Auf der „Liste 3“ steht zum Beispiel das teuer renovierte, schicke Geschäftshaus in der Mauerstraße. Es gehört zu den 54 nach „Liste 3“ enteigneten Objekten, die im Nationalsozialismus der IG-Farben- Industrie gehört hatten, dem kriegswichtigsten Nazi-Konzern überhaupt. IG Farben wurde als einziger deutscher Konzern in einem Kriegsverbrecherprozeß verurteilt – Anklagepunkte waren 1948 unter anderem Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Planung, Vorbereitung und Führung von Angriffskriegen, Versklavung und Tötung der Zivilbevölkerung, Kriegsgefangenen und Konzentrationslagerinsassen. Der Konzern hatte ein eigenes Konzentrationslager errichtet (Auschwitz-Monowitz), Hunderttausende von Zwangsarbeitern bis aufs Blut ausgebeutet und über eine Tochterfirma das Giftgas Zyklon B für die Gaskammern der Vernichtungslager hergestellt.

Insgesamt 137.000 Quadratmeter Grundstücksfläche groß ist das Begehren der heutigen Erben. Da lohnt es sich, Prozesse zu führen: Es gibt Villen aus den Gründerjahren im künftigen Regierungsviertel zu gewinnen (zum Beispiel in der Kronenstraße 10 und in der Clara-Zetkin-Straße 35) und große Filetgrundstücke zu beerben (zum Beispiel nordöstlich des Brandenburger Tors, entlang der Neuen Wilhelmstraße bis hin zur Clara- Zetkin-Straße – oder in Treptow das Agfa-Gelände zwischen Lohmühlen- und Bouchéstraße – oder in Pankow große Teile der Siedlung Binzstraße und Umgebung).

IG Farben i.A., die Frankfurter Nachfolgefirma des NS-Konzerns, hat auf sämtliche in der „Liste 3“ ausgewiesenen ehemaligen IG- Farben-Grundstücke Ansprüche erhoben. Man sieht in dieser Hinsicht keine Probleme mit der Vergangenheit. Konzernsprecher Vollmann räumt sogar ein: „Es ist naturgemäß nicht auszuschließen, daß sich unter den Grundstücken auch ehemals arisiertes Grundvermögen befindet.“ Katja Leyrer

Heute findet um 20 Uhr zum Thema eine Veranstaltung und Ausstellungseröffnung statt. Dabei spricht Hans Frankenthal, Mitglied des Auschwitz-Komitees und ehemaliger IG-Farben-Zwangsarbeiter. Ort: Botschaft e.V. Kronenstraße, Mitte.