"Nicht mehr meine Gedenkstätte"

■ Geehrte Behinderte bei Diepgen

Mit Tränen in den Augen tritt eine 57jährige Krankenschwester aus der Neuen Wache. Auslöser für den Gefühlsausbruch war die Pietà von Käthe Kollwitz. Die Skulptur sei wunderbar, „es sind doch immer die Mütter, die leiden“, meint eine Frau zu dem Kunstwerk, das eine Mutter mit ihrem verstorbenen Sohn in den Armen darstellt. Allerdings zeigten am gestrigen Vormittag die wenigsten Besucher der „Zentralen Gedenkstätte der Bundesrepublik“ solch emotionale Reaktionen. Meistens lasen sie zuerst die Tafeln, die über die Geschichte der Neuen Wache und den Zweck der zentralen Gedenkstätte Auskunft geben. Dann gingen sie in langsamen Schritten an der Skulptur von Käthe Kollwitz und den niedergelegten Kränzen bundesdeutscher Politiker-Prominenz vorüber.

Die stille Betroffenheit der Besucher verrät nichts über ihre Meinung über die Gedenkstätte. Nachdem die Neue Wache erst gestern um 10 Uhr für den öffentlichen Besuch freigegeben wurde – am Sonntag bei der offiziellen Einweihung durch Bundeskanzler Kohl befürchteten die Sicherheitsbehörden Krawalle durch Demonstranten – fiel ein erstes Meinungsbild sehr unterschiedlich aus. So meinte ein 69jähriger Ingenieur, der als Soldat während des Zweiten Weltkriegs in Frankreich kämpfte: „Das ist nicht mehr meine Gedenkstätte.“ Er habe die Diskussionen um das Denkmal verfolgt, und er verstehe es nicht, warum deutsche Soldaten immer als Mörder hingestellt würden.

Die Schülerin Barbara sieht das Mahnmal mit anderen Augen: „Es ist ein Hohn, daß nicht zwischen Tätern und Opfern unterschieden wird.“ In dem historischen Gebäude heißt es: „Wir gedenken allen Opfern von Krieg und Gewaltherrschaft.“ Zahlreiche Gruppen und Einzelpersonen sehen darin eine Gleichsetzung von Tätern und Opfern des Faschismus.

Diese Bedenken teilt ein 55jähriger Informatiker aus den Niederlanden nicht: „Opfer ist Opfer“, lautet sein kurzer Kommentar zu den Diskussionen über die Gedenkstätte.

Einen ähnlichen Standpunkt nimmt die Hausfrau Maria Saßmann ein. Die gebürtige Berlinerin findet, daß man auch der Gefallenen gedenken muß.

Der Vikar Martin Dubberke hat kaum Sympathie für das Denkmal. „Ohne die Tafeln am Eingang wäre das Ganze überhaupt nicht erträglich.“ Er sieht die eigentlichen Opfer des Nationalsozialismus, wie Juden und andere verfolgte Minderheiten, nicht ausreichend gewürdigt. „Die Pietà von Kollwitz paßt nicht hierher, ein leerer Raum wäre besser gewesen“, lautet eine weitere Kritik des Theologen. Thomas Nagel