Meinung
: SPD in der Beweispflicht

■ Staffelts verzweifelter Kampf gegen den SPD-Absturz

Die letzten Umfragen müssen den Chef aufgeweckt haben: Seit seiner Wahl zum Landesvorsitzenden ist die SPD um zehn Punkte auf 28 Prozent abgesackt. Da in derselben Umfrage die Bonner SPD-Politik, die wahrlich nicht gerade überzeugend zu nennen ist, mit 38 Prozent relativ gut abschneidet, ist das Berliner Ergebnis um so dramatischer. Ob das wohl irgend etwas mit der Politik der Berliner SPD zu tun hat?

Seit fast drei Jahren unterstützt sie in der Verkehrspolitik den Betonkurs von Senator Haase. Die Busspuren wurden zunächst um zehn Prozent reduziert und zu fünfzig Prozent zeitlich eingeschränkt. Der BVG wurden von 1991 bis 1995 jährlich jeweils 100 Millionen Mark an Zuwendungen gekürzt, für 1994 zusätzlich eine Sonderrate von 250 Millionen. Mit diesen 750 Millionen mag der Senat möglicherweise den Straßentunnel unter dem Tiergarten finanzieren, die Konsequenz ist aber die, daß heute schon auf 80 Prozent aller Buslinien die Takte länger geworden sind. Die Tarife wurden zweimal um insgesamt 13 Prozent erhöht. Mit der vom Verwaltungsrat bestätigten Tariferhöhung werden es fast 25 Prozent sein. Die Organisationsform wurde geändert, um das Parlament als potentiellen Störenfried auszusperren.

Dem Autoverkehr wurden immer wieder Gelder zugeschustert, um so sinnlose Projekte wie den Innenstadtring, den Straßentunnel oder Park-and-ride-Anlagen finanzieren zu können. Das noch vom rot-grünen Senat vollständig vorbereitete Parkraumkonzept für die Kudammgegend wurde immer wieder vertagt, die Parkraumbewirtschaftung für das Gebiet innerhalb des S-Bahnrings wegen angeblicher „juristischer Unmöglichkeiten“ auf Eis gelegt. Dadurch wurde das Autofahren in Berlin in den letzten Jahren um keinen Pfennig teurer. Entgegen dem „Vorrang für den ÖPNV“ werden Oberbaum-, Böse- und Sandkrugbrücke – „zunächst“ – ohne Straßenbahngleise gebaut.

Mehrfach mußte Berlin erleben, daß von der SPD/CDU-Koalition selbst einstimmig beschlossene Anträge – zum Beispiel die Einleitung von Planfeststellungsverfahren für die U1-Verlängerung zum S-Bahnhof Warschauer Straße bis Ende 1992 oder für Straßenbahnverlängerungen in den Westteil hinein – nicht umgesetzt wurden. Deshalb ist die Einberufung des Koalitionsausschusses, der ja wiederum nur Absichtserklärungen formulieren kann, nichts anderes als ein sozialdemokratischer Eiertanz. Denn es rächt sich bitter – sofern der SPD tatsächlich an einer Änderung der Verkehrspolitik gelegen sein sollte –, daß sie in der Vergangenheit mit ÖPNV-freundlichen Worten oder Absichtserklärungen zufrieden war, um millionenschweren autofreundlichen Taten die Zustimmung zu erteilen. Nicht zuletzt ihre Zustimmung zur Änderung der Organisationsstruktur der BVG, ohne zuvor 270 Kilometer neuer Busspuren durchgesetzt – das heiß: aufgemalt – zu haben, hat sie in dieses Dilemma gebracht. Daß es ein leichtes gewesen wäre, die Entscheidungen über die Tarifstruktur der BVG beim Parlament zu belassen, ist eine Binsenweisheit.

SPD-Chef Staffelt hat öffentlich erklärt, daß Verkehrssenator Haase „eine Zumutung“ ist. Die Fraktion Bündnis 90/Grüne hat beschlossen, dem Verkehrssenator das Mißtrauen auszusprechen. Die SPD könnte beweisen, daß sich an ihrer Politik wirklich etwas geändert hat ... Michael Cramer

Der Autor ist Mitglied des Abgeordnetenhauses für Bündnis 90/Die Grünen.