Verwirrte Todessehnsucht

■ Performance „Das unheimliche Lied“ auf Kampnagel

Die Königin stirbt gerne, erwürgt auf See von „ihrem“ Zwerg. Das Ende von Franz Schuberts Lied Der Zwerg steht am Anfang der theatralischen Performance Das unheimliche Lied, die am Samstag auf Kampnagel Premiere hatte. In andächtiger Ruhe befreit sich Dorothea Reinicke vom Tatwerkzeug, einem schier unendlich langen, roten Seidenschal. Dann tritt Schuberts Werk in den Hintergrund. Die Schauspielerin steckt in der Rolle einer Frau, die im Bann seines Liedes steht, zwischen Konvention und Morddrang, Urschrei und Sehnsucht, Schaulust und Verdrängung.

Die Akteurin ist in ihrer Welt gleichzeitig Zeugin, Mörderin und Opfer der Gewalttat. Sie sitzt Tierlaute schreiend auf der Couch und als Therapeutin daneben. Hin- und hergerissen zwischen den Gefühlen schafft sie so wechselnde Stimmungen ums Sterben, mysteriös, anziehend und abschreckend zugleich.

Die Performance arbeitet mit zahlreichen Symbolen des Todes, sei es verdeckt in einer erstarrten Beziehnung am Frühstückstisch oder direkt beim klingenkreuzenden Schattenkampf mit einem einzelnen Damokles-Schwert. Die von Vilém Wagner komponierte Musik wird mittels eines in die Handlung einbezogenen Tonbandgerätes zum dramaturgischen Gegenüber der Solo-Schauspielerin, das von ihr beeinflußt wird, sie aber auch bestimmt. Eine Litanei von wiederkehrenden, tragischen Worten steht darin und daneben.

Das unheimliche Lied erschließt sich Außenstehenden nicht ohne weiteres. Erst gegen Ende wird aus den wechselnden Erlebnissen der verwirrten Protagonistin ein bündelndes Netz erkennbar. Der Versuch, „eine Reflexion unserer eigenen ambivalenten Haltung gegenüber der deutschen Romanik“ zu erreichen, ist deshalb mühsam zu verfolgen. So fehlt es der sinnschweren Handlung zwar nicht an Tempo - die Ruhe paßt zur todesverliebten Stimmung -, aber doch an Spannung.

Werner Hinzpeter

morgen bis Sonntag, 20.30 Uhr, Kampnagel K1