Wisch und nicht weg!

■ Alterswerk in Uraufführung: Samuel Becketts "Worstward Ho" beim BR 2

Titel sind oft trügerisch. Vor allem bei einem wie Samuel Beckett, der sein Autorenleben damit verbrachte, Arbeitsspuren und Textkonturen zu verwischen. Der darauf aus war, gegen die weitverbreitete Neigung zum Offensichtlichen anzureden, weil das Eindeutige doch nur einen hauchfeinen Teil der „Wahrheit“ enthält. In dieser Hinsicht ist der „Vater der Postmoderne“ ganz Kind des französischen Symbolismus. Einer, der bei aller Sprachskepsis an so etwas wie Wortmagie glaubt. Einer, der überzeugt ist, daß die Sprache – gesetzt, man bearbeitet sie ehrlich – neben dem face value der abgegriffenen Alltagsfloskeln mehr zu bieten hat, daß dichterische Sprache an wortlose Erfahrungen heranreichen kann.

Das Alterswerk „Worstward Ho“ beschreitet natürlich nicht nur den direkten Weg „Aufs Schlimmste zu“ (so der deutsche Titel), sondern treibt Becketts alt-eingeschlagene literarische Spur weiter. Der englische Titel ist da vieldeutiger: Er läßt die bei Beckett so wichtige Tonfläche ironisch mitschwingen: Aufbruchstimmung, Rufen, Planwagen und Peitschenknallen: „Auf nach Westen! Ab ins gelobte Land!“

Beckett, der nimmermüde Aufklärer, war sprachlich immer bereit, seine Zelte abzubrechen. Ständig im Aufbruch, suchte er nach neuen Wegen. „On“, lautet ein rhythmisches Leitmotiv im Spätwerk Becketts. „On“: aufs Minimale zu und darüber hinaus.

In „Worstward Ho“ begegnen wir den (neu komprimierten) Bekannten aus Becketts vorangegangenen Werken. Dem mehrfach geteilten Bewußtsein etwa, das in sich und um sich selbst kreist, Assoziationssplitter und „Reste von Geist“ auf ihre Brauchbarkeit als Bedeutungsträger abtastet. Das Innere des Schädels ist – wie so oft – „Schauplatz und Schauender von allem“. Auch der Topos der unmöglichen Bewegung ist ein verquerer Motor dieses Textes. Dann die Erinnerung an Bilder aus Becketts Experimentalfilmen: gesenkter Kopf auf gefalteten Händen, Überblendungen von Gesichtern und Figuren.

Wieder verfolgt der Dichter seine Linie der Auflösung bis hin zur Abstraktion, zum Bild, zur Musikalität. Wieder arbeitet er gegen den „glatten Stil“ des allzu leichten Spiels mit Worten und wagt sich erneut gefährlich nahe ans Terrain der Sprachlosigkeit heran. Das Motto: „Try again. Fail again. Fail better.“ Hier spricht jedoch kein Zyniker, sondern einer, der seine Erkenntnis auf die Spitze treiben will.

Becketts Leistung liegt darin, uns mit dem so assoziativ dahinfließenden Bilderstrom nicht zu überfluten. Er läßt die Sprache den Eindruck erwecken, als spreche sie sich selbst. Zwar sind die Texte hermetisch, wie man so schön sagt, haben jedoch eine seltene Qualität: Sie sind zwar „schwer zu lesen, aber gut zu sehen“ (Enoch Brater).

Der oft auch ulkige Aspekt des Spätwerks geht im Deutschen leider oft verloren. Zwar versuchte Dramaturg Herbert Kapfer mit der Besetzung von Ernst Jandl als Sprecher eine Geste ans Komische – beim zu pathetischen Vortrag des king of German nonsense blieb sie jedoch leider rein symbolisch. Raymond Federman dagegen, der vitale Wissenschaftler und Schriftsteller, setzt den Humor der sich bekriegenden inneren Stimmen hervorragend ein. Er, der Beckett- Forscher, kennt die Nuancen.

Klar, daß „Worstward Ho“ vor allem die „lyrischen Temperamente“ anspricht. Aber mal reinzuhören wäre für jeden einen Versuch wert. Vielleicht erweitert sich ja der Mikro-Beckett-Fankreis, wenn einige Outsider gebannt der hypnotisch-geheimnisvollen Wortkaskade lauschen, so wie einst Cocteaus Orphée seinen jenseitigen Radio-Botschaften. Gaby Hartel

Mittwoch, 20. Oktober, 22.05 Uhr: Einführung von Herbert Kapfer; anschließend liest Raymond Federman den Originaltext.

Donnerstag, 21. Oktober, 22.05 Uhr: Ernst Jandl liest die deutsche Übersetzung.

Freitag, 22. Oktober, 22.05 Uhr: Potpourri aus beiden Lesungen, zusammengestellt von Herbert Kapfer.