Frauen und Kinder zuletzt

■ Regierung blockiert die Aufnahme von bosnischen Flüchtlingen trotz gut 3.000 freier Plätze

Bonn (taz) – Weil „eine akute Gefahr für Leib und Leben nicht besteht“, hat das Bundesinnenministerium die Einreise von 50 bosnisch-muslimischen Flüchtlingen aus Čapljina (30 Kilometer südlich von Mostar) verweigert. Ein Unterbringungsproblem gab es nicht: das Land Niedersachsen hatte sich bereit erklärt, die Menschen aufzunehmen. Die Flüchtlinge, anfangs eine Gruppe von 79 Personen, waren schon zu Beginn des Krieges aus der Region um Stolać geflohen. Sie wurden dann notdürftig in einer Schule in Čapljina untergebracht — mitten im jetzigen Kriegsgebiet.

Zwanzig von ihnen wurden unterdessen von Kroaten verhaftet, weitere neun sind geflohen. Für die verbliebenen 50 Frauen, Kinder und alte Leute bestehe die Gefahr, so der Sprecher des Komitees für Grundrechte und Demokratie, Andreas Buro, als „lebendige Schutzschilde“ in den Kämpfen zwischen Kroaten und Moslems mißbraucht zu werden.

In einem Schreiben des Bundesinnenministeriums vom 11.August dieses Jahres heißt es, daß keine akute Gefahr bestehe. Es beruft sich dabei auf die Angaben des UNHCR und anderer EG-Beobachter. Dort, bei der Bonner UNHCR-Vertretung, sieht man das allerdings anders. Pressesprecher Stefan Telöken: „Das UNHCR ist der Auffassung, daß alle Moslems aus der fraglichen Region herausmüssen.“ Diese Ansicht hatte das UNHCR auch in einer Presseerklärung vom 20.August vertreten. Besondere Bedeutung erhält das Schreiben – das zahlreiche Fälle massiver Bedrohung und Menschenrechtsverletzungen an Muslimen aufzählt – dadurch, daß das UNHCR nur „in ganz speziellen und gut recherchierten Fällen“ von derart massiver Bedrohung spricht und sich nicht mit dem Hinweis auf eine „allgemeine Gefährdungslage“ begnügt.

Die schriftliche Absage des Bundesinnenministeriums stand im Gegensatz zu mündlichen Auskünften, wonach Heinz Scholl aus dem Bundesinnenministerium gegenüber Buro wiederholt erklärt haben soll, bei der Aufnahme von Flüchtlingen gebe es dann keine Probleme, wenn sich ein Bundesland bereit erkläre, die Flüchtlinge aufzunehmen. Zynisch wird die Ablehnung auch dadurch, daß sich die Bundesrepublik im Ausland gerne damit rühmt, daß sie 7.000 Flüchtlinge aufzunehmen bereit sei; eine Zahl, die die Großzügigkeit anderer Staaten überbietet. Jürgen Trittin, niedersächsischer Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten, weiß, daß von diesen 7.000 Kontingentplätzen rund die Hälfte nicht besetzt sind. Gegenüber der taz bestätigte Reiner Selhausen aus dem Bundesinnenministerium, daß „noch gut 3.000 Plätze frei“ seien. Anders bewertet Selhausen den Fall der 50 Flüchtlinge: „Solange die Gefährdung alle gleichermaßen trifft, sehen wir keine Notwendigkeit zur Aufnahme.“ Selbstverständlich könne Niedersachsen die Flüchtlinge aufnehmen (sprich: auf eigene Kosten), „nicht allerdings in Anrechnung auf das Kontingent“. Das sei für „Ex-Internierte, deren nächste Angehörige und Traumatisierte“ gedacht. Julia Albrecht