Schäfer will kirchturmhohen Giftberg im Ländle

■ Umweltminister in Stuttgart sucht Standort nur nach politischen Kriterien

Trossingen (taz) – Harald B. Schäfer, Umweltminister im Ländle, hat ein Problem: Von ihm wird erwartet, daß er die giftigen Galvanikschlämme, ätzenden Säuren und kontaminierten Filterstäube des Landes entsorgt – mindestens 600.000 Tonnen im Jahr. Bundesweite Reputation als Umweltengel ist dem SPD-Minister in Stuttgart sicher, wenn es ihm gelingt, diesen düsteren Schatten schwäbischer Wohlstandsmehrung ohne Export fortzuschaffen. In Zeiten, in denen auch hinter dem Tellerrand der Flädlesuppe große Koalitionen locken, keine schlechte Perspektive.

Aber die Zeit drängt. Bis zur nächsten Wahl in drei Jahren sollte der Giftmüll als Thema entsorgt sein. Gut, daß schon der CDU- Vorgänger auf der Suche nach einer Deponiefläche war und Ergebnisse vorliegen. In drei Regionen hat die Landesregierung „geeignete“ Fläche für eine zentrale Landesdeponie entdeckt: auf der Ostalb, zwischen Schwarzwald und Schwäbischer Alb und bei Ravensburg. Allen gemein ist: Sie liegen abseits der Ballungsräume, nahe an der Landesgrenze, und eine Autobahn öffnet eine Schleuse ins dünn besiedelte Hinterland. Die, die dort wohnen, in Zöbingen und Tuningen, in Kerkingen und Gunningen, wundern sich, „daß die Sicherheit des Untergrundes mit zunehmender Nähe zu einer Landesgrenze und zu einer Autobahnabfahrt zunimmt“. Sarkastisch ihre Frage: In welcher Region sind weniger Wählerstimmen zu verlieren als hier?

In keiner – das wußte schon 1974 ein junger Staatssekretär namens Erwin Teufel. Dessen Karriere kam damals etwas ins Trudeln, weil ruchbar wurde, daß die vorgesehene Fläche bei Tuningen entgegen den offiziellen Versicherungen („nach zahlreichen Untersuchungen vieler Fachleute unter Berücksichtigung aller Gesichtspunkte“) überhaupt nicht untersucht worden war. Außerdem hatte der forsche Jungpolitiker den Standort um ein paar hundert Meter verschoben – in den Nachbarwahlkreis.

Das von Schäfer jetzt vollmundig als „Gutachten“ bezeichnete Standortsuchverfahren wird von Umweltschützern massiv kritisiert. Schon 1974 und auch bei erneuten Bohrungen vor wenigen Wochen wurde in angeblich nicht wasserführenden Tonschichten an einem der vorgesehenen Standorte Wasser festgestellt. Dutzende von Widersprüchen und Ungereimtheiten zählen die Deponiegegner auf. Der FDP-Kreisverband Tuttlingen mäkelt, daß in den beigefügten Landkarten nicht einmal die proklamierte Mindestentfernung von einem Kilometer zur Wohnbebauung eingehalten wird.

Die einzige Giftdeponie des Landes steht in Billigheim und ist in acht Jahren voll. Harald B. Schäfer und Ministerpräsident Erwin Teufel wollen das Gift des ganzen Landes danach auf eine zentrale Deponie karren. Zwei Millionen Kubikmeter Giftmüll sollen hier bis zu einer Höhe von 45 Metern aufgetürmt werden. 113 Hektar Wald müßten für den Standort bei Tuningen zum Beispiel gerodet werden. Die Aussicht auf ausgedehnte Wanderungen um einen toxischen Berg aus Giften und Pestiziden, Lacken und dioxinhaltigen Schlämmen, der sich höher türmt als die Kirchtürme der Region, macht die Leute renitent.

Bürgerinitiativen sind entstanden, über 7.000 Menschen beteiligten sich an einem Sternmarsch. Sie fürchten die Verseuchung von Grundwasser und Luft, eine Umweltkatastrophe durch einen Deponiebrand. Wenn Schäfer „das Kainsmal des St. Florian“ auf ihrer Stirn entdeckt, dann wedeln sie mit Zeitungsberichten über die Koalitionsvereinbarung. Dort wurde auf Druck Schäfers festgehalten, daß Kehl als Standort für eine Giftmüllverbrennungsanlage ausscheidet – Kehl liegt in Schäfers Wahlkreis.

Nicht nur die Umweltschützer vor Ort werfen dem Ministerium vor, auf ein überkommenes und gefahrenträchtiges Konzept zu setzen, welches „einer Einladung an die Wirtschaft gleichkommt, weiter Giftmüll zu produzieren“. Kein Untergrund sei den Belastungen einer solchen „Primitivdeponie“ ewig gewachsen, warnen unabhängige Experten wie der Kieler Toxikologe Professor Wassermann. Thomas Lachenmaier