Alle Macht geht dem Volke aus

■ Bundesverfassungsgericht segnet brav die Maastrichter Verträge ab / Kinkel zufrieden

Karlsruhe (taz) – Im Namen des Volkes ...“ – selten ging es so unmittelbar um das Volk, wie gestern in der sogenannten Maastricht-Entscheidung des 2. Senats des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe. Zu entscheiden war, ob das Volk durch die europäische Union in seinem elementarsten demokratischen Recht, der Einflußnahme durch Wahlen, beeinträchtigt sei. In diesem Sinne war für die Richter allein die Verfassungsbeschwerde des ehemaligen EG-Spitzenbeamten Manfred Brunner zulässig, auch wenn sie im Ergebnis als unbegründet abgewiesen wurde. Die Verfassungsbeschwerden der Grünen wurden als unzulässig verworfen.

Brunner hatte vorgetragen, daß er in elementaren demokratischen Rechten beeinträchtigt sei, da der Vertrag wesentliche Kompetenzen des Bundestags auf Organe der Europäischen Gemeinschaft abgebe – auf die er dann, als Wähler, keinen Einfluß mehr habe. Darüber hinaus bemängelte er, daß der europäischen Union eine „Kompetenz-Kompetenz“ eingeräumt sei, wonach sie wahllos zusätzliche Befugnisse an sich ziehen könnte. Der Vertrag sieht in Artikel F Absatz 3 vor, daß die Union sich mit den Mitteln ausstattet, „die zum Erreichen ihrer Ziele ... erforderlich sind.“ Die höchsten Richter sahen das anders. Einstimmig, ohne Sondervotum haben die sieben Richter und die eine Richterin befunden, daß die Beteiligung der deutschen Wählerinnen und Wähler gewährleistet sei. Seinen Einfluß könnte das Wahlvolk via Bundestag und Bundesrat ausüben, die europäische Union sei nicht die Gründung der „Vereinigten Staaten von Europa“, sondern lediglich ein Staatenverbund. Daß diesem Staatenverbund zusätzliche Rechte eingeräumt würden, sei durch den neuen Artikel 23 und die Präambel des Grundgesetzes vorgesehen. Auch eine „Kompetenz-Kompetenz wird duch Artikel F nicht begründet“.

Wie immer nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts haben alle gewonnen. Der Grünen-Kläger Wilfried Telkämper äußerte sich vollauf zufrieden. „Das Urteil hat eine Tür geöffnet für mehr Öffentlichkeit und mehr Transparenz.“ Er kann sich dabei auf Passagen im Urteil beziehen, in denen immer wieder gemahnt wird, daß die europäische Integration und der Demokratiezuwachs Hand in Hand gehen müßten. „Entscheidend ist, daß die demokratischen Grundlagen der Union schritthaltend mit der Integration ausgebaut werden.“ Tatsächlich jedoch hat die Regierung auf ganzer Linie recht bekommen. Nicht eine der Klagen war im Ergebnis erfolgreich, und Außenminister Klaus Kinkel konnte mit Recht sagen: Die Ratifizierungsurkunde solle sofort in Rom hinterlegt werden, der „Vertrag kann am 1. November in Kraft treten“.

Nachdem nun auch Deutschland als letztes EG-Land der europäischen Union beigetreten ist, will die EG-Kommission in Brüssel auf die Umsetzung des Maastrichter Vertrages hinarbeiten. Dessen Kernpunkte sind eine Wirtschafts- und Währungsunion, eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, eine europäische Staatsbürgerschaft sowie eine gemeinsame Innen- und Justizpolitik. Dies alles, ohne daß sich das Volk mit seiner von ihm ausgehenden Staatsgewalt maßgeblich daran beteiligen dürfte. Julia Albrecht

Reaktionen Seite 2, Kommentar Seite 10