"Izetbegovic muß unterschreiben"

■ Helmut Lippelt, Vorstandsmitglied der Partei Bündnis 90 / Die Grünen, zur Frage einer militärischen Intervention in Bosnien: Die Waffen müssen so schnell wie möglich schweigen

Auf einem Sonderparteitag diskutierte am Samstag das Bündnis 90/ Die Grünen über den Krieg in Bosnien. Der auch von Vorstandsmitglied Helmut Lippelt unterschriebene Antrag erhielt eine breite Mehrheit.

taz: Herr Lippelt, im Antrag, der nun Parteilinie ist, ist von einem „Genozid“ an den bosnischen Muslimen die Rede und von „Zeichen eines faschistischen Völkermordes“. Trotzdem sind Sie gegen jede militärische Intervention.

Helmut Lippelt: Seit meiner Reise nach Belgrad vor anderthalb Jahren habe ich dafür gekämpft, daß die Partei akzeptiert, daß es dort um Faschismus geht. Wir sind trotzdem gegen einen Ruf nach den Militärs, weil wir die Konsequenzen eines solchen Rufs nicht in der Hand haben. Das hat sich im Fall Irak gezeigt.

Das haben Sie aber unmittelbar nach Ihrer Reise anders gesehen. Sie haben damals in einer öffentlichen Erklärung in Bosnien von „klaren Bestandteilen des Faschismus“ gesprochen und gefordert: „Und Faschismus muß widerstanden und bekämpft werden. Unter klaren Voraussetzungen, notfalls auch mit Gewalt.“ Was hat den Sinneswandel bewirkt?

Es ist kein Sinneswandel. Wir haben in der Presseerklärung damals von „Gewaltanarchie“ und von „quasi ,polizeilichen‘ Mitteln“ gesprochen, die nötig seien. Aber einen Ruf nach militärischen Mitteln, zumal wenn er aus Deutschland kommt, und gar von den Grünen, halte ich für kontraproduktiv.

Einverstanden, die Deutschen sollen sich auf dem Balkan zurückhalten. Aber in Sarajevo sind nun seit 18 Monaten über 300.000 Menschen eingeschlossen. Es könnte im Winter, der diesmal vielleicht nicht mehr so außergewöhnlich mild sein wird wie der letzte, zu einem Massensterben kommen, wenn die Versorgung nicht militärisch gesichert wird. Wie wollen Sie verhindern, daß die serbische Seite nach Gusto Hilfsgüter in die belagerten Städte hineinläßt oder eben auch nicht?

Erstens: Die politischen Bemühungen müssen verdoppelt werden. Zweitens: Es darf keine Lockerung der Sanktionen gegenüber der serbischen Seite geben. Und die kroatische Seite muß, wenn die Blockade bei Mostar nicht aufgegeben wird, mit einbezogen werden. Drittens: Die Flüchtlingshilfe muß voll laufen und die Grenze geöffnet werden. Viertens: Die Luftbrücken müssen notfalls vervielfacht werden.

Was nützt eine offene Grenze, wenn die Menschen aus Sarajevo gar nicht herauskommen? Im Antrag schreiben Sie: „Hier muß schnell, hart, effektiv und konsequent gehandelt werden.“ Sie haben nichts vorgeschlagen, was schnell Hilfe bringt. Sanktionen wirken kurzfristig nicht.

Glauben Sie, daß eine militärische Intervention jetzt mehr bringen würde als eine Verdoppelung der politischen Anstrengungen?

Es geht nicht darum, einen Konflikt militärisch zu lösen, sondern vom Hungertod bedrohten Menschen effektiv und schnell Hilfe zu leisten.

Meine Forderung: Die Waffen müssen so schnell wie möglich schweigen. Kinkel muß so schnell wie möglich einen Bevollmächtigten nach Sarajevo entsenden, um Überzeugungsarbeit zu leisten. Es muß dafür gesorgt werden, daß die Bosnier den Friedensvertrag unterzeichnen. Es ist doch die klare Absicht der UNO, das Blauhelmkontingent danach um ein Mehrfaches aufzustocken.

Izetbegović soll also einen Vertrag unterzeichnen, der die Zerschlagung Bosnien-Herzegowinas bedeutet? Ein Friedensdiktat.

Es geht im Vertrag nicht um die Lebensfähigkeit Bosniens für die nächsten 100 Jahre, sondern es geht endlich um einen Waffenstillstand, der nicht mehr gebrochen wird. Es geht um einen ersten Schritt zum Frieden. Erst auf dieser Grundlage können Blauhelme dann helfen. Jetzt alles von der Lebensfähigkeit des Konstrukts, das dann da ist, abhängig zu machen, bedeutet, die Bosnier endgültig dem Untergang auszuliefern. Interview: Thomas Schmid