Denkpause für die Großstadtkultur

■ Auftakt der Reihe „Perspektiven metropolitaner Kultur“ mit Jürgen Kolbe

Die Kulturpolitik, oder wenigstens wichtige Teile von ihr, sind am Ende“, konstatiert Jürgen Kolbe. Als „Polemik“ bezeichnete der ehemalige Münchner Kulturreferent seinen Vortrag am Donnerstag im Literaturhaus. Es war die Auftaktveranstaltung einer mehrmonatigen Reihe, die sich mit „Perspektiven metropolitaner Kultur“ angesichts des kulturpolitischen Desasters in den Großstädten befaßt.

Kolbe begann mit einem Rundumschlag auf bestehende kulturpolitische Modelle und malte ein düsteres Bild der bevorstehenden Zukunft der Kunst. Als ehemaliger Förderer der Stadtteilkultur verkündete er ihr Scheitern, das er sich lange selbst nicht eingestehen wollte: „Nachbarn finden es viel spannender, vor dem Fernseher zu sitzen, als im Stadtteil-Kulturzentrum zu töpfern oder ihr geschichtsloses Viertel aufzuarbeiten.“

Ungeachtet dieses mangels Publikumserfolges von ihm verrissenen Kulturmodells kritisierte Kolbe dann aber doch, daß Kunst allgemein nach ihrem Gebrauchswert beurteilt wird. Das in den siebziger Jahren verkündete Verständnis von demokratischer Kultur als „Lebensmittel“ sei gescheitert. Ganz im Gegenteil fehle der untergehenden Kultur jede Lobby, wie schon am lauen Widerstand der Öffentlichkeit gegen die Schließung des Berliner Schillertheaters erkennbar sei: „Es wird in heilige Besitzstände der deutschen Kulturnation eingegriffen, und keiner schreit auf.“

Doch das Bühnensterben wird weitergehen, prognostiziert Kolbe. „Es werden einzelne Saurier überbleiben mit hohen Preisen und exorbitantem Publikum.“ Saurier sind die Staatsbühnen wohl ohnehin schon, wenn etwa - wie der Publizist erzählt - vom Etat der Münchner Staatsoper vor lauter Fixkosten nur noch 20 Prozent für die Produktion von Kunst übrig bleiben. Statt sinnvoller Ausgaben für freie Produktionen strichen diese großen Häuser fast die gesamte öffentliche Förderung ein.

Die meisten laufenden Bühnenproduktionen seien ohnehin nur „museale Reproduktionen von Kunststrukturen des 19. Jahrhunderts“. Auf die neue, unsubventionierte Kunst schimpfte Kolbe, zum Beispiel auf die „Vandalenmusik“ von Guns 'n' Roses. “Geistige Umweltverschmutzung“ des Privatfernsehens sollte mit Kulturabgaben belastet werden. Seine Essenz: „Wir brauchen eine Denkpause für die Großstadtkultur, wenn sie mehr sein soll als plenty of nothing.“

Kolbes „Polemik“ provozierte das Publikum. In der vom Berliner taz-Kulturredakteur Jörg Lau geleiteten Diskussion wurde er deshalb scharf attakiert. Neben Versuchen, den Gebrauchswert von Kulturpädagogik zu belegen, wurde Kolbe vor allem vorgeworfen, zu wenig konkret zu sein, und die Begriffe Kunst und Kultur nach Belieben auszulegen. Kolbe hatte dem nur wenig Argumente, dafür aber einen Schwall von Worten entgegenzusetzen. Derlei gelangweilt löste sich das Publikum selbst auf.

Die Reihe wird mit anderen Referenten fortgesetzt, darunter die Philosophen Peter Sloterdijk und Jean Baudrillard. Nächste Veranstaltung ist am 18. Oktober ein Vortrag des ehemaligen französischen Kultusministers Jack Lang im TIK.

Werner Hinzpeter